Zum Glück Pauline - Roman
familienfreundlich
23
Im Laufe des Nachmittags schickte ich meiner Tochter eine SMS, um sie ebenfalls zum Essen einzuladen. Sie sagte zu, erkundigte sich bei der Gelegenheit aber wie meine Mutter, ob es einen besonderen Anlass gebe. Ich machte im Büro früh Schluss, kurz nachdem ich die achte Schmerztablette des Tages geschluckt hatte. Allmählich wirkten diese Tabletten nicht mehr wie noch am Anfang. Ich war eine Stunde lang auf der Suche nach einer schmerzmindernden Sitzhaltung auf meinem Stuhl hin und her gerutscht, bis ich mit der einen Arschbacke auf dem Stuhl saß und die andere in der Luft hing. Auf dem Höhepunkt meiner Qualen hatteich mehrmals mit dem Gedanken gespielt, das Essen wieder abzublasen: Dieser verrückte Einfall war mir in einem Augenblick gekommen, in dem die Schmerzen nachgelassen hatten. Andererseits würde mich das Essen auf andere Gedanken bringen, würde mir Gelegenheit geben, mich über andere Sachen aufzuregen. Vielleicht war das die richtige Methode: Wer leidet, muss Umstände herbeiführen, die das Leiden noch vergrößern, denn einzig das Leid vermag sich durch Leid zu zerstreuen. So wird man endlich abgelenkt.
Ich hatte eigentlich auf dem Markt Gemüse besorgen wollen, um eine Ratatouille zu machen. Aber das hätte mich zu viel Anstrengung gekostet. Élise würde nicht vor 19 Uhr nach Hause kommen, aber das Essen war ja meine Idee gewesen, also musste ich es auch organisieren. Am einfachsten wäre es, etwas zu bestellen, dachte ich. Es gab da einen libanesischen Lieferservice, der mit seinen Prospekten und Gutscheinen seit Monaten meinen Briefkasten überschwemmte. Bis jetzt hatte ich die Werbung ignoriert und mich hie und da sogar über deren Flut ereifert. Doch Hartnäckigkeit zahlt sich anscheinend aus, denn nun entsann ich mich der libanesischen Option. Ich hatte schon Jahre nicht mehr libanesisch gegessen und fürchtete, ich könnte mich im Labyrinth der kulinarischen Möglichkeiten verirren. Ich wollte etwas ganz Einfaches, ein zusammengestelltes Gericht, ich wollte das Komplettmenü:
«Hallo?»
«Bonjour, ich würde gern für heute Abend was bestellen.»
«Für heute Abend? Das ist leider nicht möglich.»
«Ach … echt? Wieso?»
«Wir haben hier gerade ein kleines Problem.»
«Ach so … ein Problem …»
«Aber gleich um die Ecke ist ein marokkanischer Lieferservice …»
«Na ja … warum nicht?»
«Haben Sie was zum Schreiben?»
Der Frau am Telefon war es gelungen, einigermaßen freundlich zu bleiben, obwohl sie sich, so schien es, in einer absoluten Ausnahmesituation befand. Merkwürdig, dass sie mir einfach so die Nummer des marokkanischen Lieferservice gab, der ja ein Konkurrent des libanesischen sein musste. Aber ich wusste diese Solidarität unter Kaufleuten zu schätzen. Dafür leuchtete mir umso weniger ein, wie man sich für eine Werbekampagne so verausgaben konnte, wenn man dann am Tag X, an dem der Fisch (ich) endlich anbiss, nicht bereit war. Einige Tage darauf hörte ich zufällig, dass sie eine Kontrolle des Gesundheitsamts gehabt hatten, mit verheerenden Folgen. Wir waren gerade noch der Lebensmittelvergiftung entronnen, die garantiert ein Familiendrama ausgelöst hätte. Meine Eltern hätten sicherlich einen Vergiftungsversuch vermutet. So waren wir an der großen Katastrophe wirklich nur haarscharf vorbeigeschrammt.
Mit Freude schwenkte ich auf den Marokkaner um, dessen Prospekt mir ebenfalls nicht verborgen geblieben war. Ich glaube, ich hatte sogar lächeln müssen, als ich den Namenlas: «Allô Couscous». Die Sache war nicht kompliziert, ich bestellte einfach einen Couscous Royal für fünf Personen. «Sehr gern», antwortete die junge Frau am Telefon und fügte dann hinzu:
«Dürfen wir Ihrer Bestellung ein paar kostenlose marokkanische Dessert-Spezialitäten beigeben?»
«Dürfen Sie … dürfen Sie …»
Welch Liebenswürdigkeit, welch Unkompliziertheit, welch ein Sonnenschein! Wahrscheinlich lieferten sie doppelte Portionen aus, um die Schwierigkeiten auszunutzen, in denen der Hauptkonkurrent steckte. Der richtige Zeitpunkt, die Kundschaft zu binden. Nun ja, die Sache war erledigt, in meiner Euphorie darüber dachte ich, dass wir bestimmt einen netten Abend verbringen würden. Aber vorher musste ich mich noch ein wenig ausruhen. Ich war den ganzen Tag überhaupt nicht zur Ruhe gekommen. Außerdem hatte ich die letzten drei Nächte nicht geschlafen, das machte mich natürlich auch zur Schnecke. Ich legte mich ins Bett und brauchte
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