Zum Glück Pauline - Roman
Gelegenheit … aber du lässt dich immer von ihm zur Minna machen …»
«Das stimmt nicht. Es ist mir einfach total egal, was er redet.»
«Wie kannst du so was sagen? Schau dich doch mal an.»
«Genau … schau mich doch mal an. Können wir das nicht später besprechen?»
«Nein, ich will jetzt darüber reden. Wir verschieben unsere Gespräche immer auf später. Aber es gibt überhaupt kein Später.»
«Okay … okay …»
Ich hatte Élise selten so erlebt. Was für ein Tag: Die abgebrochene Computertomographie, die entwürdigende Parkplatz-Akte, meine Eltern, die Vorwürfe meiner Tochter, und nun wollte auch noch meine Frau mit mir reden, aber worüber? Sie wusste, wie schwierig mein Verhältnis zumeinem Vater war. Jahrelang hatte sie ihre Scherze darüber gemacht, wie er mich regelmäßig runterputzte. Sie fand seine lächerliche Masche leicht durchschaubar. Ich nahm also zur Kenntnis, dass das, was ein Paar zu erheitern vermag, es nach einer gewissen Zeit nicht mehr tut. Was mich betraf, so bildete ich mir ein, den wechselnden Stimmungslagen und kleinen Fehlern meiner Frau weiterhin gewogen zu sein.
«So hab ich dich noch nie erlebt», fuhr sie fort.
«Was?»
«Keine Ahnung. Ich hab den Eindruck, du tust alles, um die Seiten zur Geltung zu bringen, die ich am wenigsten an dir mag.»
«…»
«Du warst echt das Opfer des Abends. Du hast den Besuch deiner Eltern über dich ergehen lassen und die Beleidigungen deines Vaters hingenommen. Und zum Schluss wärst du fast gestorben …»
«Aber da kann ich doch nichts dafür, wenn ich solche Schmerzen habe.»
«Na ja, da wäre ich mir nicht so sicher.»
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Man kennt ja diese Geschichten von Krebskranken, die ihren Krebs selbst heraufbeschwören. Ich fand diese Theorie grauenhaft. Wieso musste man auch noch schuld sein, wenn man schon krank war? Ich wusste nicht, ob ich Krebs hatte, aber wenn ja, welch schreckliche Vorstellung, ihn auch noch eigenhändig verursacht zu haben. Ich wollte mir nicht selbst den Tod bringen. Alles, was geschieht, frisst einen potenziellauf, jagt einem Angst ein, bildet Krankheiten aus. Womöglich hatte meine Frau recht? Konnte schon sein, dass ich mein Leiden selbst herbeigeführt hatte. Hing es mit der Beziehung zu meinen Eltern zusammen? Mit unserer Beziehung? Mit der Arbeit? Meinen Kindern … wo war die Ursache des Problems? Vielleicht lag es ja auch am Leben, das ich generell führte.
Während meine Frau so redete, durchzuckte mich plötzlich ein stechender Schmerz, und ich stieß einen gellenden Schrei aus. Élise fing an zu lachen.
«Wieso lachst du? Findest du das lustig?»
«Nein, natürlich nicht. Pardon, das sind die Nerven. Hast du solche Schmerzen?»
«Geht schon wieder … war nur ein kleiner Krampf.»
«Entschuldige.»
«So hab ich dich schon lang nicht mehr lachen hören», bemerkte ich.
«Tatsächlich?»
«Das letzte Mal war vor über einem Jahr. Ich kann mich noch genau erinnern.»
«Aha?»
«Wir waren etwas angesäuselt, und du hast eine Anekdote aus dem Kindergarten erzählt. Ihr hattet da so eine stotternde Aushilfssekretärin …»
«Ach … stimmt, das ist jetzt schon einige Zeit her …»
«Ja, das ist einige Zeit her. Das war das letzte Mal, dass du so gelacht hast. Wahrscheinlich liegt es an mir, dass du nicht mehr lachst. Mir ist mein Humor abhandengekommen.»
«Besonders lustig warst du eigentlich noch nie.»
«Findest du? Ich dachte, ich würde dich zum Lachen bringen.»
«Na ja, du warst oft unfreiwillig komisch.»
«Ach so …»
«Seitdem die Kinder aus dem Haus sind, ist alles irgendwie so freudlos», sagte sie ernst.
«…»
«…»
«Wir sollten im Sommer alle zusammen in Urlaub fahren …»
«Na ja, warum nicht …», seufzte sie ohne große Überzeugung.
Alle vier zusammen in Urlaub fahren, wie früher. Sich in die Vergangenheit zu stürzen, erschien als das logische Gegenmittel gegen das, was uns aufzehrte. Die Urlaube, die wir zusammen verbracht hatten, kamen mir auf einmal wahnsinnig toll vor. Ich tauchte die zurückliegenden Sommer in ein hübsches Licht. Der Gedanke, es könnte sie einmal nicht mehr geben, war mir früher nie gekommen. Dass meine Kinder eines Tages
richtig
groß sein würden, hatte ich mir nie vorstellen können. Bei jedem Geburtstag stand ich verwundert da. Sie würden also tatsächlich irgendwann erwachsen sein. Und dann würde ich sie nicht mehr bei mir haben. Das war’s jetzt. Verblüffend, wie schnell
Weitere Kostenlose Bücher