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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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hinterlassen hatte. Sie würde etwas später kommen, irgendwelche Eltern wollten sie unbedingt sprechen. Sie entschuldigte sich auch, weil sie mir nicht beim Vorbereiten helfen konnte. Kaum hatte ich die Nachricht abgehört, spazierte sie zusammen mit unserer Tochter zur Tür herein. Alice hatte sie vom Kindergarten abgeholt, und dann waren sie gemeinsam hergefahren. Ich hatte Alice seit fast zwei Wochen nicht mehr gesehen, und es war so viel geschehen in dieser Zeit. Es kam mir vor, als wären Jahrhunderte vergangen. Sie wurde von Mal zu Mal schöner, die Schönheit eines Mädchens, das seinem Vater entglitt. Wenn ich sie so ansah, regte sich immer ein sanftes Entzücken in mir. Ich erkannte ihr Genie in ihren unbedeutendstenGesten. Ich sah sie an, und hielt mir die düsteren Gedanken vor Augen, die ich in den vergangenen Tagen gehabt hatte. Sterben kam überhaupt nicht infrage. Meine Kinder waren das Gegenmittel. Ich musste doch wissen, wie es mit ihnen weiterging. Welche Art von Leben sie führen würden, was das Schicksal für sie bereithielt. Und ich musste doch da sein für sie und sie beschützen, auch jenseits der Volljährigkeit. Ich nahm meine Tochter in den Arm und drückte sie so lange und heftig an mich wie selten zuvor. Sie guckte verdutzt und sagte dann:
    «Was ist denn mit dir los?»
    «Ich liebe dich so, das ist los, sonst nichts.»
    Alle standen sprachlos da und schauten mich an.
    Also verkündete ich: «Heute Abend gibt’s Couscous.»
    Wenige Minuten später saßen wir zu Tisch, vertieft in einen Monolog meines Vaters (wie hätte es anders sein können?). Er stand immer im Mittelpunkt und würzte seine Reden gern mit der ein oder anderen Unflätigkeit, was ihm selbst (zu Unrecht) als witzig erschien. Unser Verhältnis war mehr als kompliziert, wohl ein Pleonasmus, wenn man von seinem Vater oder seinen Eltern im Allgemeinen spricht. Es gab Momente, in denen ich ihn charmant oder gar charismatisch fand, und solche, in denen er mir unerträglich und abstoßend vorkam. Meine Meinung über ihn konnte so schnell umschwenken, dass mir selbst manchmal ganz schwindlig davon wurde. Das passierte gern, wenn eine dritte Person ins Spiel kam: Sobald jemand gut von ihm sprach, hörte ich auf, gut von ihm zu sprechen und zählte seine charakterlichenMängel auf. An erster Stelle seine Art, ständig an mir herumzukritisieren. Lange hatte ich das als Unbeholfenheit in Gefühlsäußerungen angesehen. Doch mittlerweile kannte ich seine wahren Absichten. Er war unfähig, mich in ein positives Licht zu rücken, irgendein gutes Haar an mir zu lassen. Zum Beispiel: meine Kinder. Er hatte sie natürlich ins Herz geschlossen, keine Frage, aber wenn er mit mir über sie sprach, stellte er nur immerzu heraus, dass ihm irgendetwas nicht passte. «Ich verstehe nicht, wie du es durchgehen lassen kannst, dass Alice so herumläuft …» Oder: «Paul macht nichts anderes, als die ganze Zeit SMS zu schicken, das ist ja furchtbar.» Nie sagte er: «Du hast zwei wunderbare Kinder», denn damit hätte er ja zugegeben, dass ich im Leben etwas zustande gebracht hätte.
    Aber sein Hauptaugenmerk galt meinem Beruf. Als ich anfing, in einem Architekturbüro zu arbeiten, begann er, sich für diese Branche zu interessieren. Also, ich rede von Branche, gemeint ist vor allen Dingen unsere Konkurrenz. Niemand verfolgte die Erfolge unseres primären Kontrahenten so eifrig wie mein Vater. Hätte ich bei den Beatles gesungen, hätte er mir von den Rolling Stones vorgeschwärmt. Er hielt mich ständig auf dem Laufenden:
    «Schade, dass ihr nicht den Zuschlag für die Universität Paris VII gekriegt habt. Das wäre ein fetter Auftrag gewesen.»
    «Ach ja.»
    «Also die von Xenox und Co. machen echt einen guten Job. Ich war neulich im Palais de Chaillot und hab mir angeschaut,wie es mit dem Ausbau des neuen Museumsflügels vorangeht, also das sieht klasse aus. Schade, dass du nicht bei denen arbeitest …»
    Das war das Problem an meinem Vater. Man hätte meinen können, er nehme Anteil an meinem Leben und verfolge liebevoll das Treiben seines Sohnes, doch in Wirklichkeit verbrachte er seine Zeit nur damit zu recherchieren, was bei mir und in meinem Betrieb alles schiefging. In größter Vollendung praktizierte er seine hinterhältige Methode, wenn er auf eine Geschichte zu sprechen kam, die mittlerweile acht Jahre zurücklag. Ein Projekt, das ich (auch heute noch) als das spannendste und schwierigste meiner gesamten Berufslaufbahn bezeichnen

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