Zum Glück Pauline - Roman
keine zwei Minuten, um in tiefen Schlaf zu sinken.
Wie schön, endlich zu schlafen, traum- und besinnungslos, nichts kümmerte mich mehr. Auch meine Schmerzen nicht, ich hätte ewig schlafen können. Den Wecker hatte ich erst gar nicht gestellt, ursprünglich hatte ich mich ja nur ein halbes Stündchen entspannen wollen. Von einem Läuten wurde ich wieder geweckt. Anfangs dachte ich noch, es gehört bestimmt in meinen Traum, doch allmählich schwante mir, es entsprang der Wirklichkeit. Das heißt, es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff: Es läutete tatsächlich an meinerTür. Wahrscheinlich der Couscous. Ich beeilte mich, nach unten zu kommen und aufzumachen, und stand unverhofft meinen Eltern gegenüber. Stocksteif und Seite an Seite standen sie da.
«Was ist denn los mit dir?», fragte mein Vater. «Wir klingeln schon seit fünf Minuten.»
«…»
«Hast du etwa … geschlafen?», stammelte meine Mutter.
Es war schon acht. Ich hatte fast drei Stunden geschlafen. Ein kurzer Blick in den Spiegel in der Diele bestätigte: Mit meinen zerzausten Haaren sah ich aus wie ein Mann, der soeben aufgewacht war, was ja auch zutraf. Meine Eltern starrten mich wie hypnotisiert an. Ich brauchte noch einen Moment, um zu reagieren, doch schließlich bat ich sie herein. Wortlos setzten sie sich auf das Sofa im Wohnzimmer. Ich erkundigte mich, was sie zum Aperitif wünschten.
«Hast du …», begann mein Vater.
«Bring uns einfach, was du da hast … das wird schon passen …», fiel meine Mutter ihm ins Wort.
Sie hatte bei diesem Satz jede Silbe einzeln betont, als würde sie sich an einen geistig Zurückgebliebenen wenden. «Ich mach eine Flasche Rotwein auf», sagte ich ohne große Überzeugung, ich war mir nämlich nicht sicher, ob überhaupt eine da war. Für das Essen war gesorgt, das Trinken hatte ich ganz vergessen. Zum Glück fand ich in der Küche eine Flasche Bordeaux, die ich erleichtert köpfte. Langsam kam ich wieder in der Gegenwart an, wobei mir zwei Sachen auffielen: Mein Rücken schmerzte nach wie vor, und Élise war noch gar nicht zu Hause.
Meine Mutter kam in die Küche, schaute mich kurz an und fragte dann:
«Sollen wir dir irgendwie helfen?»
«Nein … nein, geht schon. Geh wieder ins Wohnzimmer, ich komme gleich.»
«…»
«…»
«Na gut … also, wenn du deine Arbeit verloren hast, das kannst du uns schon sagen. Das ist nicht so schlimm. So was kann schon mal passieren. Dein Vater und ich … wir können dir auch ein bisschen unter die Arme greifen, wenn nötig. Ich hab schon mit ihm darüber gesprochen, er hat nichts dagegen.»
«Du hast mit ihm darüber gesprochen? Aber wann denn?»
«Na vorhin. Auf dem Weg hierher.»
«Ich hab meine Arbeit aber überhaupt nicht verloren! Hört endlich auf damit.»
Es klingelte wieder, was mir Gelegenheit gab, das Gespräch abzubrechen. Es war der Fahrer von Allô Couscous, ein junger Mann, dessen aufdringliches Lächeln vehement das Herausrücken eines Trinkgelds forderte. Doch langsam waren die Zutaten für einen schönen Abend beisammen, es war zwar alles ein bisschen chaotisch, aber würde schon werden. Mit dem Essen auf dem Arm begab ich mich wieder in die Küche, gefolgt von meiner Mutter, die die ganze Zeit hinter mir herlief. Sie schien irgendwie durcheinander.
«Na? Ist irgendwas?», erkundigte ich mich.
«Hast du … Couscous bestellt?»
«Ja.»
«…»
«Gibt’s irgendein Problem damit?»
«Nein … nein», japste sie und rang nach Luft.
Meiner Mutter standen ihre Gemütslagen immer ins Gesicht geschrieben. Der Couscous war ein zusätzlicher Faktor, der verstörend wirkte. Aber natürlich konnte sie mir das nicht so sagen. Mir war zwar nicht entgangen, dass meine Eltern immer ausländerfeindlicher wurden, doch ich dachte, dies betreffe nur Personen und keine Lebensmittel. Gibt es Rassismus-Gene, die im Alter automatisch zum Tragen kommen? Offensichtlich kam es für meine Mutter nicht infrage, ihre Veranlagung zuzugeben. Denn sie fasste sich:
«Da wird dein Vater sich aber freuen. Er liebt Grieß.»
«Na prima. Ich will ja auch, dass ihr hier einen angenehmen Abend verbringt.»
«Oh ja … das wird bestimmt ein angenehmer Abend», flötete sie in einem Ton, der auch ihre schlimmsten Befürchtungen nicht verschleierte.
24
Intensität der Schmerzen: 7
Gemütslage: marokkanisch
25
Es war schon fast halb neun, und Élise war immer noch nicht da. Als ich sie anrufen wollte, stellte ich fest, dass sie mir eine Nachricht
Weitere Kostenlose Bücher