Zum Heiraten verfuehrt
dem Tod ihres Großvaters war er der einzige Erwachsene in der Familie und eine Art Vaterersatz für sie gewesen. Deshalb war ihm oft gar nichts anderes übrig geblieben, als bei ihren Streitereien den Schiedsrichter zu spielen.
Doch dies hier war kein Fall für einen Schiedsrichter.
Sander betrachtete noch einen Moment das Foto, dann gab er sich einen Ruck und sagte: „ Unser Blut schon, aber nicht das von Nikos. Nikos sagt die Wahrheit. Das sind nicht seine Kinder.“
Elena starrte ihn an.
„Woher willst du das wissen?“
Sander wandte sich zum Fenster um. Sein Blick schweifte in die Ferne, wo der Himmel mit der tiefblauen Ägäis verschmolz. Sein Herz hämmerte vor Wut, auch wenn er äußerlich ruhig wirkte. Lange verdrängte Erinnerungen stiegen in ihm auf.
„Ich weiß es, weil sie von mir sind.“
Seine Schwester riss schockiert die Augen auf.
Aber sie war nicht die Einzige, die schockiert war, wie Sander zugeben musste. Er war nicht minder erschüttert gewesen, als er auf dem Handydisplay die Frau zwischen den beiden Jungen erkannt hatte, die ihm so ähnlich sahen. Seltsamerweise wirkte sie heute jünger als vor sechs Jahren, als er sie in diesem Club in Manchester kennengelernt hatte.
Sander presste den Mund zusammen. Die Erinnerung an jene Nacht hatte er bewusst verdrängt. Ein One-Night-Stand mit einem provokant gekleideten, zu stark geschminkten alkoholisierten Mädchen, das sich ihm an den Hals geworfen hatte. Die Initiative war eindeutig von ihr ausgegangen, aber er hatte mitgemacht. Auf jeden Fall war diese Begebenheit absolut nichts, worauf ein Mann stolz sein sollte, nicht einmal wenn er – wie in seinem Fall – mildernde Umstände geltend machen konnte. Sie war eins dieser Mädchen gewesen, die kamen, um sich einen der gutverdienenden Fußballstars zu angeln, die in dem Club verkehrten. Geldgierige, berechnende junge Frauen, die nur darauf aus waren, ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu erhaschen und dafür bedenkenlos ihren Körper in die Waagschale warfen. Der Club war bekannt dafür, dass er solche Frauen anzog.
Sander hatte Sex mit ihr gehabt, weil er wütend gewesen war – auf sie, weil sie so schamlos war, und auf seinen Großvater, weil der ständig versuchte, sich in seine ureigensten Angelegenheiten einzumischen, und zwar in einem Ausmaß, das schlicht nicht tolerierbar war. Und dazu war noch die stets in seinem Unterbewusstsein brodelnde Wut auf seine Eltern dazugekommen – auf seinen Vater, weil er tot war, auch wenn seitdem schon so viele Jahre vergangen waren, und auf seine Mutter, weil sie seinen Vater nur aus Berechnung geheiratet hatte. Dieser ganze lang angestaute Groll war an jenem Abend zum Ausbruch gekommen, und das Ergebnis hatte er jetzt vor sich.
Seine Söhne.
Seine.
In diesem Moment wurde er von einem Gefühl überschwemmt, das unvergleichbar war mit allem, was er kannte. Es war ein Gefühl, von dem er nie geglaubt hätte, dass er es jemals empfinden könnte. Sander war ein moderner Mensch, ein Mann, der an Dinge wie Vernunft und Verstand glaubte und nicht an Gefühle. Schon gar nicht an die Art Gefühle, wie er sie im Augenblick verspürte. Irgendetwas zerrte mit aller Macht an ihm, ein Urinstinkt, der darauf beharrte, dass die Kinder eines Mannes – besonders seine Söhne – zu ihm gehörten.
Diese Jungen waren sein eigen Fleisch und Blut. Ihr Platz war nicht in England, sondern bei ihm. Nur an seiner Seite konnten sie lernen, was es bedeutete, ein Konstantinakos von Theopolis zu sein, allein bei ihm konnten sie in ihr Erbe hineinwachsen. Er würde sie auf die besten Schulen, auf Eliteuniversitäten schicken und ihnen beibringen, was wirklich wichtig war im Leben. Blieb nur noch die Frage, wie viel Schaden sie durch die Frau, die sie zur Welt gebracht hatte, bereits genommen hatten.
Sander hatte diese Kinder gezeugt, ohne je von ihrer Existenz zu erfahren, doch nun, da er von ihnen wusste, konnte ihn nichts, aber auch gar nichts davon abhalten, sie nach Theopolis zu holen, den einzigen Ort, an den sie gehörten.
1. KAPITEL
Die Türklingel schrillte. Ruby stieß eine Verwünschung aus. Sie blieb auf Händen und Knien am Boden und hoffte, der Besucher möge aufgeben, damit sie in Ruhe weiterputzen konnte. Aber es klingelte erneut, lange und durchdringend, regelrecht unverschämt diesmal.
Ruby fluchte und kroch rückwärts aus der Toilette im Erdgeschoss. Sie fühlte sich verschwitzt und klebrig und hatte nicht die geringste Lust, sich bei ihrem
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