Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
sich dabei nun um eine Handgranatenexplosion auf einem belebten Markplatz oder die Zerstörung des World Trade Center handelte. Diese Taten waren vor allem deshalb so empörend, blutig und gewaltsam, weil sie schockieren sollten. Terrorakte waren als bewaffnete Propaganda anzusehen, als Nadelstiche, die einen Nachhall weit über ihre militärische Bedeutung hinaus finden sollten. Jede terroristische Aktion hatte politische Konsequenzen als Ziel. Und stets sollten die genau kalkulierten Gräuel eine übermäßige Reaktion der Unterdrücker provozieren. Der Feind trug dabei verschiedene Namen: Yankee-Imperialist, Neokolonialist, kapitalistischer Ausbeuter, Ungläubiger oder Großer Satan. Man erinnerte uns immer wieder daran, dass wir der Ewige Erzfeind waren. Die Ausbilder bläuten uns ein, dass der Terrorismus immer in einem politischen Kontext gesehen werden müsse. Trotzki hatte es am besten ausgedrückt: »Der Terror ist politisches Theater.«
Auch hier studierten wir wieder die wichtigsten Lehrmeister. Wir arbeiteten ausgewählte Passagen von Marx, Lenin und Mao über die Dynamik und den politischen Nutzen des Terrorismus durch. Wir untersuchten die nah- und mittelöstlichen Terrororganisationen einschließlich des Schwarzen Septembers und der PLO (Palestine Libaration Organization, die Palästinensische Befreiungsorganisation) in all ihren Decknamen und Tarnungen. Wir machten uns mit mehreren europäischen Terrorgruppen vertraut, die damals eine große Wirkung erzielten: die RAF (Rote Armee Fraktion) oder Baader-Meinhof-Gruppe, die baskische ETA (Euskadi Ta Askatasuna, baskisch für »Baskenland und Freiheit«) und die italienischen Roten Brigaden. Man erzählte uns, dass alle europäischen Terrorgruppen entweder unter der operationellen Kontrolle des KGB stünden oder zumindest von ihm logistische Unterstützung erfahren würden. Warum unterstützte der KGB nun aber solche nihilistischen und offensichtlich kriminellen Banden? Der orthodoxe Marxismus lehre, dass Gewalt das einzig legitime Instrument des politischen Wandels sei. In geografischen Gebieten von strategischem Interesse seien Befreiungskriege Stellvertreterkonflikte zwischen dem Osten und dem Westen. Eine Marionette kämpfe gegen die andere. Dabei gehe es im Grunde nur um Macht . Dies sei das Große Spiel. Wenn wir dies verstanden hätten, würden wir auch den ganzen Prozess verstehen.
Nachdem man uns mit den Gründen und Arten der Revolution bekannt gemacht hatte, bekamen wir eine Einführung in die drei wichtigsten Gegenmaßnahmen: Taktische Aktionen, psychologische Kriegsführung und ziviler Aufbau. Diese miteinander verbundenen und sich oft sogar überlappenden Sphären ließen sich in etwas derberer Sprache ungefähr so beschreiben: ihnen in den Arsch treten, die Welt davon überzeugen, dass alles, was man tat, einfach wunderbar war, und in aller Stille die politischen und wirtschaftlichen Mängel und Fehler beseitigen, die die Guerillas überhaupt erst in die Berge getrieben hatten. Für diese Prozesse würde man später einen eigenen Begriff prägen: Nation Building, Nationenbildung.
In den letzten drei Wochen absolvierten wir einen Kurs, in dem man uns die genaue Planung von Operationen zur politischen Kriegsführung beibrachte. Dabei galt es alle möglichen logistischen Überlegungen zu berücksichtigen, was zu einem ungeheuren Ausstoß von Planungsstudien führte. Fast jede vorstellbare Operation war ja bereits geplant, durchgeführt und in allen Einzelheiten analysiert worden. Um einen Überblick zu gewinnen, machte man uns mit der Buchreihe der Naval Warfare Publications for Special Operations bekannt. Diese NWPs waren Lehrbücher, die eine Vielzahl der Einsätze behandelten, die wir während unseres Kriegs auf San Clemente Island durchgeführt hatten: das Auskundschaften des Gegners, Entführungen, Gefangennahmen, Bombenattentate und Mordanschläge. In solchen Fällen liebt es das Militär bekanntlich, Euphemismen zu benutzen. Auch hier wurden also diese schmutzigen Tricks mit beschönigenden Ausdrücken bezeichnet: Aufklärung und Überwachung, das Entern eines Schiffs, Suche und Festnahme, Abfangen von Personen, Aktionen gegen Führungsinfrastrukturen und Sabotage auf See. Alle diese Missionen liefen unter dem Oberbegriff »Operations other than War« (nicht kriegerische Operationen), die im deutschen Sprachraum ähnlich euphemistisch meist als »Operationen zur Friedenssicherung und Krisenbewältigung« bezeichnet werden.
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