Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
Leute, gegen die wir kämpfen würden, glaubten tatsächlich an diesen ganzen Schwachsinn. Wenn wir sie besiegen wollten, mussten wir verstehen, weshalb und wofür sie kämpften.
Wir lasen die Bücher über Guerillakriegsführung von deren Meistern Mao Tse-tung, Lin Piao und Ché Guevara. Wir verfassten Kommentare über Artikel von H ồ Chí Minh und militärische Lehrbücher von General Võ Nguyên Giáp, dem Oberbefehlshaber der nordvietnamesischen Armee. Wir studierten die mehrphasigen Angriffe während der Tet-Offensive von 1968. Unsere Instruktoren, von denen einige bei die Tet-Offensive auf amerikanischer Seite dabei gewesen waren, erklärten uns, dass der Vietcong von den Nordvietnamesen zu diesen selbstmörderischen Angriffen ermutigt worden sei. Zwar war die Tet-Offensive auch eine militärische Niederlage für den Norden, aber gestorben waren dabei hauptsächlich Angehörige des Vietcong. Genau dies hätten die Nordvietnamesen beabsichtigt. Die Offensive sollte den Vietcong weitgehend liquidieren, da der Norden ihn für einen ziemlich unzuverlässigen Verbündeten hielt. Unsere Ausbilder behandelten jedoch auch ganz offen die amerikanischen Fehler und Fehlschläge in Vietnam. So habe das amerikanische Phoenix-Programm, das die Führung des Vietcong aufspüren und liquidieren sollte, den Nordvietnamesen in die Hände gespielt. Die Unfähigkeit der amerikanischen Führung zu begreifen, was vor Ort im Feld tatsächlich vor sich ging, wurde ebenfalls kritisch erörtert. Amerika hatte den Krieg in Südostasien nicht nur verloren, wir hatten den Nordvietnamesen sogar mit zum Sieg verholfen. Sollte es tatsächlich noch Zweifel gegeben haben, ob der Vietcong von der nordvietnamesischen Armee tatsächlich als Verbündeter betrachtet worden war, wurde diese Frage nach dem Fall von Saigon rasch geklärt, als Zehntausende Vietcong-Kämpfer, deren Kader und Intellektuelle von den Eroberern aus dem Norden gefangen genommen und in Umerziehungslager gesteckt wurden.
Schließlich wurden auch Themen behandelt, die näher an unserem Heimatland lagen. Lateinamerika ist wahrscheinlich das Testlabor der politischen Kriegsführung für die ganze Welt. Wochenlang befasste sich unser Unterricht mit den Ursachen und Folgen der Revolución . Wir erhielten eine Einführung in die katholische Revolutionstheologie und die wirtschaftlichen Auswirkungen der herrschenden Oligarchien in Mexiko, Panama, El Salvador, Kolumbien und Nicaragua. Wir studierten die Operationen Pancho Villas in Mexiko und Augusto Sandinos in Nicaragua. Wir untersuchten Perus damalige Tragödie, den maoistischen Aufstand des Sendero Luminoso , des »leuchtenden Pfads«. Die kubanische Revolution verdeutlichte die Macht von La Idea . Ganze elf Mann hatten Fidel Castros erste Landung an der Westküste der Insel überlebt. In den vier folgenden Jahren gelang es Castro jedoch, die bestbewaffnete Militärdiktatur Lateinamerikas zu stürzen, eine wahrhaft beachtliche Leistung. Anhand von Castros Triumph wurde uns verdeutlicht, dass diese Jungs geborene Revolutionäre waren.
Als Nächstes untersuchten wir die Verhältnisse in Mittelamerika. Dabei wurden wir zuerst ausführlich über den Aufstand in El Salvador aufgeklärt, der damals gerade seinem Höhepunkt zustrebte. Zwei Jahre später sollte einer unserer Ausbilder, der SEAL-Commander Albert Schaufelberger, in den Straßen von San Salvador einem Attentat zum Opfer fallen. Wir studierten das Minihandbuch der Stadtguerilla des brasilianischen Revolutionärs Carlos Marighella. Vor allem interessierte uns dabei, dass er darin Ché Guevaras Aufforderung aufgriff, »zwei, drei, viele Vietnams zu schaffen«, um auf diese Weise Uncle Sam zu bekämpfen. Damals steckte der Drogenterrorismus noch in seinen Anfängen. Trotzdem studierten wir bereits die Organisationsstruktur und Vorgehensweise des Medellín- und des Cali-Kartells. Vor allem befassten wir uns in allen Einzelheiten mit mehreren Mordanschlägen und Bombenattentaten, die diesen Drogenkartellen zugeschrieben wurden, und mit ihrem sich damals anbahnenden Bündnis mit der FARC, den Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens).
Wir lernten, dass der Terrorismus keine Strategie und kein Selbstzweck war, sondern eine Taktik zur Erreichung eines höheren Ziels. Der Terrorismus war der Krieg der Machtlosen gegen die Unschuldigen. Es lag in der Natur dieser asymmetrischen Kriegführung, dass die Terrorakte Provokationen waren, ob es
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