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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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bat ihn der britische Verwalter Kaschmirs, der Soldaten für die britischindische Armee rekrutieren musste, ein Gedicht zu schreiben und auch vorzutragen, damit sich mehr Freiwillige zum Kriegsdienst meldeten.
    Selbst kulinarische Missgeschicke inspirierten meinen Großvater zu komischen Limericks aus dem Stegreif, auch wenn diese dann stets streng geahndet wurden. Ein unachtsamer Koch, der den Reis zu lange hatte kochen lassen, musste unter der Aufsicht meines Großvaters einen ganzen Teller davon essen, damit er ein Gespür für die richtige Konsistenz bekam. Meine Großeltern sahen das Essen, das in Bashirabad serviert wurde, als Spiegel ihres Lebens an. Menge, Qualität, Präsentation und die Atmosphäre, die geschaffen wurde, um ein Menü zu servieren, waren ebenso bedeutend wie eine akademische Prüfung. Jedes Menü war Ausdruck ihres hohen Anspruchs.
    Als ihre älteren Kinder in Bashirabad heirateten, gaben meine Großeltern für jedes von ihnen ein Hochzeitsbankett, das von den legendären waazwans , den kaschmirischen Küchenchefs, zubereitet wurde. Das kaschmirische Wort waaz bedeutet Koch. Mein Großvater bat einmal sogar den Maharadscha der kaschmirischen Küchenchefs, Ben Ama, um ein aus zwanzig Gängen bestehendes Menü. Das Fleisch frisch geschlachteter Lämmer wurde dabei so lange geklopft, bis sich die Fasern in eine schaumige, schwammartige Masse verwandelt hatten; unzählige Gerichte wurden mit Kardamom, Safran, schwarzem Kreuzkümmel und Joghurt aromatisiert. Der Küchenchef höchstpersönlich bediente dann die Gäste, die auf mit feinen Tischtüchern bedeckten Teppichen Platz genommen hatten. Die Leute saßen jeweils zu zweit zusammen, um sich die großen Teller mit gedämpftem Basmatireis zu teilen, auf die der waza die Köstlichkeiten jedes Ganges häufte. Um sicherzugehen, dass die Gäste von jedem Gang kosteten, und auch um die Spannung zu erhöhen, sparte er sich für den krönenden Abschluss den gushtaba , einen großen luftigen Fleischkloß auf. Wenn man zu diesem Zeitpunkt schon satt war, erregte das allgemeines Missfallen. Zu der bei den alten Römern verbreiteten Praxis des Erbrechens Zuflucht zu nehmen, wäre schlicht undenkbar gewesen. Man musste einfach ein guter Esser sein.
    Selbst in den Sommerferien nahm man die kaschmirische Gastfreundschaft sehr ernst, denn die Gäste ehrten den Gastgeber durch ihre Anwesenheit. Als meine Großeltern noch in Srinagar lebten, kamen Freunde und Verwandte im Sommer in unser wie eine Schale geformtes Tal in Kaschmir zu Besuch, um der Hitze zu entfliehen. Der bevorzugte Aufenthaltsort war immer der mit Lotosblüten geschmückte Dal-See, wo unsere Familie ein Hausboot mit dem Namen Shikara besaß. Mein Großvater stand wegen der geplanten Ferien in lebhaftem Briefwechsel mit den erwarteten Gästen und erhielt oft auch Bitten von begeisterten Anhängern der kaschmirischen Küche, die glaubhaft versicherten, den ganzen Winter lang von diesem oder jenem Gericht geträumt zu haben.
    Die Hausboote sahen aus wie prächtige schwimmende Paläste. Mit Holz vertäfelte Schlafräume und Wohnzimmer waren mit kaschmirischen Teppichen und seidenen Gobelinvorhängen geschmückt. Gegenstände aus getriebenem Kupfer, filigran gearbeitetem Silber und glänzendem Papiermaché vervollständigten die Einrichtung. Mit den Hausbooten wie durch eine Nabelschnur verbunden waren Küchenschiffe, die mit Trockenvorräten, Obst und Gemüse beladen waren und täglich mit frischem Fleisch und frischem Fisch bestückt wurden, der von Händlern auf kleinen Booten feilgeboten wurde.
    Meiner Großmutter fiel die Aufgabe zu, den Einkauf der Lebensmittel zu beaufsichtigen, mit denen die von meinem Großvater mit großem Feingefühl zusammengestellten Menüs für die Gäste zubereitet werden sollten. Selbst ein weltfremder Akademiker, der sich sonst ausschließlich mit Papier und Tinte beschäftigte, wurde dann vom Duft frischer Aprikosen und Feigen geradezu überwältigt. Einem kränkelnden Cousin wiederum servierte man kaschmirisches yakhni , eine köstliche, mit Mandeln garnierte Lammbrühe. Dabei war es überaus wichtig, dass die Mandeln noch nicht ganz reif waren und noch eine grüne Schale hatten. Die Köche auf dem Hausboot wurden sorgfältig ausgewählt, denn jedes Versagen ihrerseits hätte dem Ruf meines

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