Zum Wilden Einhorn
mächtigen Hüften zu wickeln. Stulwig staunte. Diese Röcke paßten also ohne Änderung Frauen jeglicher Figur.
Augenblicke später kam die Frau heraus. Sie hatte sich drei der dünnen Schultertücher um den Oberkörper gewunden. Sie vermied es, Stulwig anzusehen, als sie auf bloßen Füßen an ihm vorbei stapfte. Dann hörte er, wie sie die Tür aufsperrte.
Das erfüllte ihn mit neuer Hoffnung. Vielleicht, wenn er sich in diese Richtung wandte, schaffte er es ebenfalls durch die Tür.
Aber er wagte nicht, sich zu rühren, ja nicht einmal den Kopf zu drehen. Das Leuchten, das ein wenig aus seinem Gesichtswinkel verschwunden war -bewegte sich. Ein schrecklicher Laut ließ ihn zusammenzucken: der von schweren, sehr schweren Schritten. Und dann ...
... kam Vashanka in sein Blickfeld.
Obwohl er wie betäubt war, zweifelte Stulwig nicht einen Augenblick: Was er sah - ein Anblick, der wenigen Sterblichen aus dieser Nähe zugemutet wurde -, war der rankanische Gott Vashanka, der Blitzschleuderer, der Meister der Waffen; Vashanka, der seine zehn göttlichen Brüder getötet - und Jutu Stulwig, Altens Vater, ermordet hatte!
Der mächtige Überirdische stand nun an der Tür, die aus der Schlafkammer führte. Und er mußte sich bücken, damit er nicht am Türrahmen anstieß.
Eine beeindruckende Figur war er in seiner feurigen Hülle - ja, es sah tatsächlich so aus, als leckten und loderten und flackerten winzige Flammen auf seiner Haut.
Und diese unzähligen Flammen beleuchteten das Treibhaus heller als der strahlendste Sonnenschein.
Wahrhaftig sollte ein Mensch, der sich von einem Gott bedroht sieht, sich nicht allein auf rohe Gewalt verlassen. Nicht daß dieser Gedanke Stulwig wirklich bewußt geworden wäre, aber er steckte tief in ihm, in seinen Muskeln, seinen Knochen. Jede, selbst seine kleinste Bewegung, spiegelte seine Erkenntnis wider, daß er sich einer ungeheuren Macht gegenübersah.
Verzweifelt wünschte er sich, irgendwoanders zu sein, weit, weit fort.
Doch das war unmöglich. Und so ...
Stulwig hörte seine Stimme die ersten verteidigenden Gedanken aussprechen: »Ich bin unschuldig. Ich wußte nicht, wer sie war.«
Seine Verzweiflung trieb ihn dazu. Versuche das Schlimmste zu verhindern, indem du erklärst und dich bemühst, deine Unschuld zu beweisen.
Die grimmigen Augen starrten ihn an. Nichts deutete darauf hin, daß der Gott die Worte überhaupt gehört hatte.
Stulwig stammelte: »Sie kam als Zauberin, mit der ich für heute nacht ein Stelldichein vereinbart hatte. Wie hätte ich wissen können, daß es eine Täuschung war?«
Die ilsische Sprache schien plötzlich als Verständigung nicht mehr zu genügen. Stulwig hatte gehört, daß Rankaner, die Ilsisch lernten, verächtlich über die Zeitwörter dieser Sprache den Kopf schüttelten, weil es ihnen ihrer Meinung nach an Ausdruckskraft fehlte. Im Gegensatz dazu war die Sprache der Eroberer voll eindringlicher Gefühle, treffender Exaktheit und absoluter Entschiedenheit.
Stulwig, dem dies durch den Kopf schoß, dachte: Vashanka wird den Eindruck haben, ich flehe um Gnade, während ich ihn doch nur um Verständnis bitte.
In seiner Hoffnungslosigkeit klammerte er sich an seinen Stock, der alles war, was er zu seinem Schutz hatte. So hielt er ihn zwischen sich und den mächtigen Feuergott. Doch mit jedem Augenblick drängten sich ihm die Worte Quags, des Höllenhunds, erbarmungsloser auf: daß Ils seine Gläubigen in Freistatt im Stich gelassen hatte.
So fiel es ihm immer schwerer zu glauben, daß der geringe Zauber eines Gottes, der schon einmal versagt hatte, auf einen Stock übertragen - und wenn das Holz auch noch so hart war -, auch nur einen Schlag des mächtigen Vashankas abzuwehren vermochte.
Und während dieser entmutigende Gedanke ihn quälte, wurde ihm bewußt, daß der Gott eine Hand ausstreckte. Das Feuer dieser Hand und des Arms wurde noch glühender. Plötzlich sprang es auf den Stock über.
Unerträgliches Leuchten.
Und völlige Verwirrung, denn Stulwigs geblendete Augen waren nicht imstande zu sehen, was geschah, oder was geschehen war.
Nur eines war ihm klar: der Angriff des Gottes hatte begonnen.
... Er lebte noch, das wurde ihm als erstes bewußt. Er lebte und erinnerte sich vage, gesehen zu haben, wie der Blitz in den Stock einschlug, und einen tiefen Laut, fast wie ein Brüllen, gehört zu haben. Doch was genau geschehen war in jenem Augenblick, als Feuer und Stock zusammentrafen, wußte er nicht.
Unsicher, aber
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