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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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meine Allergien?«
    »Mehr als die Hälfte aller Deutschen hat Allergien.«
    »Aber wer –«
    Der Streit am Nebentisch wurde lauter. Er bot uns die Möglichkeit, akustisch darin unterzutauchen. Leise und gehetzt sprach Mutter weiter. »Einmal, es war im Hochsommer, lief ich zu ihm, die Landstraße entlang. Ein Auto kam, es hupte, zwei Männer winkten heraus und johlten. Ich lief weiter, ich wollte ja zu ihm. Und dann hat es gekracht. Das Auto war an einen Baum gefahren. Mich hat es am Bein erwischt. Der Beifahrer war tot – der Fahrer schwerverletzt.«
    »Dein Humpeln – das war gar kein Ernteunfall?«
    Die dicke Frau am Nebentisch versetzte dem Mann eine schallende Ohrfeige. Steinbrecher und sein Kollege liefen quer durch den Raum, trennten die beiden, verwarnten sie und blieben in Habachtstellung neben ihnen stehen. Kurz sah ich auf die unbewachte Tür. Mir fielen die ersten Worte wieder ein, die ich mit David gewechselt hatte. Das ist der Schwarze Bunker – das ausbruchssicherste Gefängnis des Landes?, hatte ich gefragt. Und er hatte geantwortet: Die Titanic war auch unsinkbar.
    Mutter hatte sich wieder gesammelt. »Ein Polizist hat meine Personalien aufgenommen. Dann kam ich ins Mariannenkrankenhaus, Operation, das Bein im Gips. Das war ein Riesentheater. Die Polizei kündigte sich an, sie wollten mich verhören, einige Informationen abgleichen, wie es hieß. In der Zeitung las ich den Namen des Fahrers. Auch er lag im Mariannenkrankenhaus. Eine Krankenschwester half mir, ihn zu finden. Er war schwerverletzt, aber er war bei Bewusstsein. Er war frech, aber auf eine charmante Art. Er hatte der Polizei erzählt, er sei einem LKW ausgewichen, der auf ihn zuraste. Er bat mich, das zu bestätigen.«
    »Du hast eine Falschaussage gemacht?«
    »Ich war ja schuld. Meinetwegen hatte er nicht auf die Straße geachtet. Er wäre sonst ins Gefängnis gekommen. Immerhin war sein Beifahrer tot.«
    »Bitte zum Ende kommen«, rief Steinbrecher zu uns herüber.
    »Was passierte mit dir und Ben?«
    »Ben hat damals Zeitungen ausgetragen, aber er wollte sich als Lokalreporter versuchen. Er wollte über die Geschichte schreiben, den Unfall, die Folgen, die Familie. Ich brachte Ben und Wolf zusammen. Wir waren oft im Krankenhaus, später in der Rehaklinik. Irgendwann merkte ich, dass ich in beide verliebt war. Oma Ernie hat Wolf später einen Job besorgt.«
    »Verabschieden Sie sich!«
    »Mutter, ich – Moment! Ich muss das ordnen. Was erzählst du mir da?« Du Schlampe, du Hure, du Sau!
    »Ich hab von beiden lebenslang Alimente für dich bekommen. Das Geld habe ich nie angerührt. Es sind hundertachtzigtausend Euro.«
    »Schluss jetzt – die Besuchszeit ist vorbei!«
    Steinbrecher baute sich vor mir auf und hielt mir die Handschellen hin. Mutter streichelte mich, ich spürte ihre harten Fingerknöchel an meiner Wange und wich ihnen aus. »Morgen bist du hier raus«, rief sie mir nach.
    Auf dem Weg zurück in die Zelle musste ich mehrfach stehen bleiben, weil mir schwindlig wurde, und lief erst weiter, als Steinbrecher mich harsch antrieb. Schon allein die Tatsache, dass Mutter einmal jung gewesen war, sich gegen strenge Eltern aufgelehnt, gelogen hatte, war fast zu viel Information, um sie zu verarbeiten. Schon allein die Tatsache, dass mein Vater nicht mein Vater war, wollte mir den Schädel sprengen. Aber dass Mutter ein Liebesleben gehabt hatte, dass sie GEFICKT hatte, dass sie durchbrennen wollte ins Heiratsparadies für Minderjährige, dass sie sogar zwei Männer auf einmal geliebt, vielleicht gleichzeitig mit ihnen GEFICKT hatte und dass ich erst ins Gefängnis kommen musste, um all dies zu erfahren, das war zu groß, um in meinen Kopf, um in meine 8-Quadratmeter-Zelle zu passen.
    Als Gonzo bemerkte, in welchem Zustand ich war, fackelte er nicht lange. »Los, Meikel, ich bin jetzt ein Sandsack. Ich bin der Sandsack, und du darfst draufhauen.«
    Die ersten Schläge machten nicht mal ein Geräusch. Meine Fingergelenke taten trotzdem weh.
    »Mach dich hart«, rief Gonzo, »hau sie alle platt!«
    Ich schlug nun härter zu und schwitzte und keuchte und schlug bis zur vollständigen Erschöpfung auf Gonzos eisenharte, grau behaarte Brust ein, ganz besonders hart schlug ich auf das Tattoo von Gonzos Mutter, das über seinem Herzen war, ich schlug auf alle Mütter dieser Welt ein, die Schlampen, die Huren, die Säue.
    Bevor die Zeituhr das Licht in den Zellen löschte, bat ich Gonzo um ein Tattoo. Ich wusste jetzt, was ich haben

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