Zungenkuesse mit Hyaenen
all die Jahre ihre Eltern besucht und finanziell unterstützt habe? Gritli schrieb weiter, sie habe mit David das Kriegsbeil begraben und kümmere sich um meine Wohnung. Sie habe jeden Tag xxxxxxxxxxx und sei überzeugt von meiner xxxxxx. Alle interessanten Teile ihres Briefes waren von der Anstaltsleitung geschwärzt worden. Gritlis Ton war sorglos gewesen, fast geschäftig, als hake sie eine Erledigung ab. Ich hatte in meiner handschriftlichen Antwort knapp gebeten, sie möge mir meinen Schlafanzug und das Bettzeug der Müllerin schicken, das hatte sie getan.
Ich hatte versucht, für Gritli eine Besuchserlaubnis zu erwirken, aber sie war abgelehnt worden, da wir weder verwandt noch verschwägert seien. Weil aber Gonzo mir immer wieder zusetzte, nahm ich den Kugelschreiber mit der Aufschrift »Domkirche Rizz – eine Perle barocker Baukunst«, der mir von der Anstalt zugeteilt worden war, und schrieb auf einen ebenfalls beantragten Block linierten Papiers:
Liebe Mutter!
Ich weiß nicht, ob Du gelesen hast, was passiert ist. Ich bin verhaftet worden. Seit zwei Wochen sitze ich im »Schwarzen Bunker« in Rizz. Ich bin angehalten, in Briefen nicht über meinen Fall zu sprechen. Also will ich Dir meinen Tagesablauf schildern. Wir wohnen hier zu zweit, ein ehemaliger Leistungssportler und ich. Um 6 Uhr ist Zellenaufschluss. Um 7 wird ein Essen serviert. Es ist ein bisschen wie im Krankenhaus. Du erinnerst Dich, damals, nach Deiner Schilddrüsen-OP? Du hast gesagt, dass Dir das gefällt, das Bedientwerden, das Bewirtetwerden. So ist es hier. Zum Frühstück gibt es zwei Brotscheiben auf einem Plastiktablett, etwas Marmelade oder Wurst und einen Apfel oder Joghurt. Ich esse alles auf, danach mache ich ein selbstentwickeltes Programm aus Leibesübungen. Du würdest staunen, wenn Du mich so sehen könntest. Ich schaffe 20 Liegestütze, was viel ist, wenn man bedenkt, dass ich niemals zuvor der Körperertüchtigung zugeneigt war. Ich mache 50 Sit-ups und 10 Klimmzüge an der oberen Stange des Zellenfensters. Nach dem Sportprogramm lese ich viel, es gibt hier einen fahrenden Wagen der Anstaltsbücherei, von dem man sich nach Belieben bedienen kann. Er kommt einmal in der Woche, morgens um 9. Das Angebot ist gemischt, die Anstaltsbücherei nährt sich aus Bücherspenden. Da gibt es alles, von Goethe bis Groschenroman, und ich lese jeden Tag ein Buch, ich fresse alles, was da ist, ganz ohne Dünkel. Sogar eine Lutherbibel habe ich ganz durchgelesen, in vier Tagen nur, ich denke, das wird Dich freuen.
Mittags um 12 wird das Mittagessen gebracht, es gibt montags, donnerstags und sonntags Fleisch, freitags Fisch, sonst vegetarisches Essen. Ich habe einen ungewöhnlich guten Appetit und fiebere den Mahlzeiten regelrecht entgegen. Nach einer Mittagsruhe (bis 14 Uhr) erfolgt der Zellenaufschluss, dann ist Kontakt zu weiteren Untersuchungshäftlingen möglich. Um 16 Uhr gehe ich hinaus zum Hofgang, wo wir alle, in Grüppchen oder allein, immer in dieselbe Richtung im Kreis laufen müssen. Manchmal drehe ich die Runden gemeinsam mit meinem Zellenkollegen. Meist bleibe ich allein und memoriere ein Gedicht. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, jeden Tag ein Gedicht auswendig zu lernen. Trakl und Rilke, Benn, Heine, Goethe. Um 18 Uhr ist Zelleneinschluss, von 18 bis 22 Uhr darf ich einen Fernseher benutzen, den mir die Anstaltsleitung genehmigt hat. 19 Uhr wird das Abendbrot serviert, das dem Frühstück fast bis aufs Haar gleicht, nur ohne Marmelade. Ich habe begonnen, ein Tagebuch zu führen, Papier und Stifte wurden bereitgestellt.
Liebe Mutter, ich darf hier Post empfangen, und auch Päckchen sind erlaubt. Bettwäsche, Schlafanzug und einige Lebensmittel. Besuch von Freunden und Bekannten ist nicht gestattet. Hätte ich eine Ehefrau, so dürfte sie mich besuchen. Und auch Verwandte ersten Grades dürfen kommen. Ich wäre überglücklich, wenn du Dich entschließen könntest, mir einen Besuch abzustatten, wenn es Deine Verpflichtungen zulassen. Du musst mir glauben, dass ich unschuldig bin, und ich hoffe von ganzem Herzen, dass sich die Sache bald aufklärt.
Dein Dich liebender Sohn Michael
Ich riss das Blatt vom Block, las durch, was ich geschrieben hatte, und war unzufrieden.
»Zeig mal«, sagte Gonzo. Ich reichte ihm den Brief. Er las sehr langsam, dann gab er ihn mir zurück.
»Scheißbrief«, sagte er. »Pussi-Brief, kriecherisch und verlogen. Das ist ein Bettelbrief. Du musst ihr einen Drohbrief schreiben. Kannst du ihr
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