Zungenkuesse mit Hyaenen
Prostituierten in einem Einfamilienhaus, knapp hundert Meter von Müllers Gelber Villa entfernt. Sie hat Müllers Schlüssel und führt sein Personal. So kann sie ihm nahe sein, durch sein Schlafzimmer streichen, seine Post durchschauen, an seinen Sachen riechen. Einmal sagt jemand ab, und Müller lädt sie, der Not gehorchend, wieder zu Orgien ein, an denen seine wechselnden Geliebten teilnehmen. Sie ist ein Möbelstück, ein Beistelltisch, eine Assistentin, die Müller zurechtrückt für die anderen. Sie erträgt die schmachvolle Situation, ihren alternden, immer fetter werdenden vernarbten Körper zu exponieren, sie macht aus der Not eine Tugend, Hauptsache, sie ist ihm nah.
FEUCHTE GIRLS
»Frau ...«
»Lydia!«
»Frau Lydia, ich müsste dringend etwas arbeiten. Gibt es hier einen ungestörten Platz?«
»Wofür?«
»Zum Schreiben!«
»Wir sind kein Schreibbüro. Warum schreiben Sie nicht bei Müller?«
»Der ist erst recht kein Schreibbüro.«
»Da sagen Sie was. Na gut, von mir aus. Jana, ist das Séparée frei?«
»Wenn ihn nicht stört, dass die Wäsche dort steht?«
»Stört mich nicht, stört mich überhaupt nicht. Haben Sie hier WLAN?«
Lydia zuckte die Schultern, aber Jana rief von hinten:
»Klar. Das Netz heißt Aphrodite, das Kennwort ›Feuchte Girls‹.«
»›Feuchte Girls‹ klein und zusammen?«
»Klein und zusammen.«
Ich wandte mich zu Gritli, die losprustete.
»Es ist jetzt kurz vor 7. Bis 21 Uhr werde ich im Tagebuch lesen, googeln und telefonieren, ab 22 Uhr schreiben.«
»22 Uhr öffnen wir. Dann wird das Séparée benötigt.«
»Ich beeile mich«, sagte ich zu Barbie-Oma. Und Gritli rief ich zu: »Wenn Müller nach mir schickt, lass dir was einfallen.«
Die Tür öffnete sich, und ein Mann trat herein. Sein gefärbter Haarkranz stand wirr um eine Glatze, sein Gesicht war solariumgebräunt, er trug einen fliederfarbenen Dreiteiler, dazu eine gelbe Krawattemit farblich passendem Einstecktuch. Er sah aus wie ein Zirkusdirektor. Sein Aftershave flutete das Zimmer. Barbie-Oma trippelte auf den Mann zu, tuschelte mit ihm und zeigte dabei mehrfach auf Gritli und mich.
Dann näherte er sich mir. »Sie können das Séparée gern nutzen«, sagte er. »Sagen wir, bis 22 Uhr 100 Euro.«
Ich drehte mich zu Gritli um, die winkte lässig ab, nickte, zog ein Bündel Scheine aus der Jackentasche und hielt ihm zwei davon hin.
Als ich das Gesicht des Moschusmanns deutlicher erkennen konnte, wusste ich, dass ich ihn schon mal gesehen hatte. Natürlich! Es war Herr Puvogel. Hatte mir Frau Puvogel nicht gesagt, Müller verkehre im Club ihres Exmannes? Wieder eine Querverbindung zwischen Leuchtturm und Dingenskirchen.
DAS HONIGBUCH
Ich zog mich, von Jana im Geschäftston eingewiesen, an meinen 100-Euro-Arbeitsplatz zurück. Auf dem Bett im Séparée standen drei blaue Plastikkörbe, einer mit Handtüchern, einer mit Bettwäsche und einer mit Dessous in Nylon und Spitze. Mutters Unterwäsche hatte immer am ausklappbaren Wäschetrockner über der Wanne gehangen. Sie trug Büstenhalter, Unterhemden mit Spitzeneinsatz und französische Flatterhöschen, lockere Beinkleider mit hohem Bund, alles in Fleischfarben, Creme und Lachs. Untadelige Damengarderobe, die sie bei einem gehobenen Versandunternehmen zu bestellen pflegte, die sie einmal die Woche mit der Hand wusch und tropfnass aufhängte, was das Baden zu einem verregneten Unternehmen machte. Im Kleiderschrank der Müllerin hatte ich Dessous gesehen, die denen aus dem Wäschekorb im Séparée näher kamen. Verstohlenzog ich eine Korsage mit Strapsgürtel hervor und roch daran. Sie duftete nach Weichspüler.
»Bist du etwa so ein Wäscheschnüffler?«, fragte Jana, die lautlos hinter mich getreten war.
»Nein, ich ...«
Ertappt ließ ich die Wäsche fahren.
»Mir kannstes ruhig sagen! Ich kenne alle möglichen Ticks. Ich krieg mehr mit, als man denkt. Bin ziemlich schlau für 'ne Nutte. Zum Beispiel weiß ich, dass du nicht schwul bist. Damit wolltest du nur das Behindi-Mädchen abwimmeln. Ich glaub, du bist total verklemmt.«
»Ich bin doch nicht verklemmt!«
»Doch, und ein bisschen maso, was? Mit dir muss man streng sein!«
»Keinesfalls! Da liegst du völlig falsch!«
»Soll ich dir schnell einen blasen? 30 Euro, braucht Lydia ja nicht wissen.«
»Nein danke, wirklich, ich muss schreiben.«
»Ja, aber vielleicht kommt das Schreiben dann leichter raus?«
»Unwahrscheinlich!«
»Soll ich dich verdreschen, hm? Oder willst du mich
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