Zungenkuesse mit Hyaenen
bitte entschuldigen Sie die Störung ...«
»Na, Hänsel und Gretel, ihr habt euch wohl in der Tür geirrt?«
»Nein, bitte, wir wollten gern auf einen Drink ...«
»Wir sind keine Studentenkneipe. Außerdem: Könnt ihr nicht lesen?«
Barbie-Oma zeigte auf das Schild an der Tür: »Täglich 22 – 6 Uhr.«
»Aber«, log Gritli, »der letzte Bus ist gerade weg.«
Die Überlandbusse fuhren bis 22 Uhr. Aber das wusste Barbie-Oma offenbar nicht. Sie sah nachdenklich an Gritli rauf und runter, wieder rauf und wieder runter. Dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und wendete sich ostentativ mir zu. »Kennen Sie sich mit Elektrik aus?«
»Etwas«, sagte ich, mein Licht durchaus unter den Scheffel stellend.
»Na, dann kommt rein. Ich hab ein Problem mit meiner Barbeleuchtung. Wenn Sie das hinkriegen, gibt’s ’nen Drink aufs Haus.«
»Wow, ich geh mit einem Schwulen in den Puff?«, jubelte Gritli, atemlos vor Sensationslust.
Zwei Minuten später saßen wir in einer holzverkleideten Bar, und mein Smartphone hing an der Steckdose. Ich hörte die Mailbox ab: Mutter, Mutter, Big Ben, Big Ben, Mutter, Big Ben, David, Hanna, Klarhabbisch und noch dreimal Big Ben. Alle bis auf Hanna meckerten, Hanna bat dringend um Rückruf. Die letzte Nachricht war von Frau Puvogel. Ich spielte sie nochmals ab und hielt Gritli das Smartphone ans Ohr.
»Zum Monatsende sind Sie aus der Wohnung raus, Sie – Schwuchtel!«
»Scheiße!«
Barbie-Oma dirigierte mich auf einen kippelnden Barhocker, um eine defekte Glühbirne auszuwechseln. Es gelang. Die neue Birne warf rotes Licht. Ich hatte für Mutter stets kleinere Reparaturarbeiten im Haushalt erledigt, da Vater hartnäckig vorgab, zwei linke Hände zu haben.
»Sind Sie aus Dingenskirchen?«, hörte ich Barbie-Oma fragen.
»Nein, aus Rizz«, antwortete Gritli, »aber mein Kollege verbringt einige Tage hier auf dem Land – er ist nämlich Autor – und ich bin die Fotografin.«
»Eine Fotografin auf Krücken?«
»Ein fortschrittliches Unternehmen. Behinderte werden bevorzugt eingestellt. Bei gleicher Qualifikation.« Gritli lachte verächtlich.
»Und wo ist der Fotoapparat?«
»Hier drin!«
Gritli klopfte auf ihren Rucksack.
»Wir suchen ein ruhiges Plätzchen, wo mein Kollege arbeiten kann.«
»Ein Autor!«, wiederholte Barbie-Oma und machte einen Lippenfurz. »Ich hätte auch so einiges zu erzählen. So einiges! Ganze Romane könnte man aus meinem Leben machen.«
Barbie-Oma leckte sich die Lippen, in die sie offenbar Ballons hatte einbauen lassen. Ihr Karl-Dall-Auge flackerte.
»Das glaub ich gern«, sagte Gritli lüstern.
Die Puffmutter war nun geschmeichelt genug, uns Asyl zu geben. »Gut, setzt euch hier drüben hin, in einer halben Stunde müsst ihr weg, dann kommt der Chef.«
Wir würden sehen. Ich sah auf das Kuvert. Aufregung ergriff von mir Besitz. Gierig streckte ich die Hand danach aus.
»Hey, Meikel, hast wohl Sehnsucht?« Ein hochgewachsenes, nach Apfel-Lotion riechendes Mädchen stand vor mir, zwei Hugos in der Hand.
»Ihr kennt euch?«, fragte Gritli fasziniert.
Es war Jacqueline, Janine oder Jana. Gritli und Barbie-Oma unterbrachen ihre Unterhaltung und wurden Zeugen unseres Dialogs, der mich bald in die Bredouille bringen sollte.
»Hallo, Jana«, sagte ich aufs Geratewohl.
Meine Unbeschwertheit war schlecht gespielt. Das Blut war mir bereits in die Ohren gestiegen. Die Art, wie das Mädchen lächelte, bestärkte mich im Verdacht, dass sie meine nächtliche Besucherin gewesen war. Dass sie wirklich bei mir gewesen war. Der Name Jana schien zu stimmen. Sie trug einen extrem kurzen Rock und einen BH, sonst nichts. An den Füßen hatte sie alberne Plüschhausschuhe in Form von Ernie und Bert. Sie war irdisch, nüchtern, gekämmt und frisch gewaschen, sie war kein Geist wie die Müllerin.
»Willst du zu mir?«, fragte Jana. »Ich fang erst 22 Uhr an.«
»Nein, ich ...«
»Das ist sowieso kein Freier für dich, der ist schwul«, rief Gritli vom Nebentisch.
Jana musterte mich aufmerksam. »Aha!«
Nur aha, sonst nichts. Hier schaltete sich Barbie-Oma ein.
»Arbeitest du etwa nebenbei in die eigene Tasche?«, herrschte sie Jana an.
»Ach, Quatsch, das war gestern in der Gelben Villa. Der Junge ist Müllers Hausgast. Hausgäste sind inklusive beim Sunsettarif.«
Müller hatte also nicht nur eine eigene Kundennummer, er hatte auch einen Discount im örtlichen Bordell. Der Mann stieg immer mehr in meiner Achtung.
Jana strubbelte mir schwesterlich
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