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Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)

Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Zur falschen Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain Claude Sulzer
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sagen, sehe ich mich gezwungen aus Notwehr die Polizei oder die zuständige Schulbehörde und Ihre Gattin zu benachrichtigen, damit der Sache ein Riegel vorgeschoben werden kann, wenn Sie meinen Sohn nicht in Ruhe lassen, Sie sauberes Vorbild für unsere Jugend.
    »Emil, du bist schon da?«
    Es gelang ihm, seine Fassungslosigkeit zu überspielen und ein Lächeln aufzusetzen, sie auf die Wange zu küssen und gleichzeitig den Brief hinter seinem Rücken zu verstecken, dem sie offenbar keine Bedeutung beigemessen, dessen Existenz sie wohl schon vergessen hatte.
    »Ich habe panierte Koteletts gebraten, die hast du doch so gern«, und er tat, als sei er überrascht und erfreut,obwohl der Geruch, der auch in ihrem Haar hing, ihm einen solchen Ekel bereitete, daß er sich nicht vorstellen konnte, auch nur einen Bissen herunterzuschlucken. Kein Lamm, sondern Schwein, dachte er. Nur als sie sagte: »Du schwitzt ja«, mußte er kurz überlegen, was er darauf antworten sollte, denn Veronika hatte recht, Schweiß stand ihm auf der Stirn, und auch seine Hände waren feucht. Aber er gewann seine vermeintliche Sicherheit bald zurück.
    »Er ist hier ziemlich warm«, sagte er.
    »Ja«, erwiderte sie, »zieh deine Jacke aus, dann wird dir weniger warm sein.« Sie fuhr mit der Handfläche über seine Stirn und sagte besorgt: »Paß auf, daß du dich nicht erkältest. Es ist eine gefährliche Jahreszeit.« Dabei war es Juni, alles andere als eine gefährliche Jahreszeit.
    »Ich passe schon auf«, sagte Emil und wäre am liebsten davongelaufen.
    »Wer aufpassen muß, bist du«, fügte er hinzu, denn ihr Kind würde bald zur Welt kommen, und ein weiteres Mal würde sich alles verändern.
    Es gab einen böswilligen Mitwisser. Zeugen wie diesem zu entkommen, war unmöglich. Sie lieferten einen aus und stellten einen bloß.
    Hatte sie Sebastian verdächtigt, zur Rede gestellt und gezwungen, sein Geheimnis zu verraten, oder hatte sie die beiden Männer unbemerkt überrascht und heimlich beobachtet, war sie ihnen gefolgt und hatte den Augenblick abgewartet, den sie zu ihrem Vorteil nutzen würde? Vorteil? Welchen Vorteil konnte sie aus ihrem Wissen ziehen außer dem, Macht über ihren Sohn und über dessen Freund zu haben? Reichte ihr die Macht vielleicht schon aus? Die Rechtslage war klar. Darüber hatte er oft genug nachgedacht. Sie konnte ihnen nichts anhaben. Sie konnte ihnen rechtlich nichts anhaben. Aber sie konnte sein Lebenzerstören und, wenn sie wollte, Sebastians Leben dazu. Vielleicht würde sie Sebastians Namen heraushalten wollen und bloß seinen der öffentlichen Schande preisgeben. Er, ein verheirateter Mann, bald Vater eines Kindes, einziger Sohn ehrenwerter Eltern, Lehrer, beliebt bei Schülern und Eltern, der Vater Besitzer eines Elektrowarengeschäfts, die Mutter krank, niemand vermochte zu sagen, wie ernsthaft.
    Hätte sie mit Sebastian darüber gesprochen, wäre es Emil wohl nicht verborgen geblieben, Sebastian hätte ihn gewarnt, außer sie war stärker als Emil und hatte ihren Sohn mit irgendeiner Drohung zum Schweigen gebracht. Ein leiser Zweifel blieb. Wenn er nicht wachsen sollte, mußte er mit Sebastian sprechen.
    Wenige Minuten später setzte er sich an den gedeckten Tisch und würgte das Fleisch herunter, das Veronika zubereitet hatte. Es war zäh.

    Er wartete, bis sie das Haus verlassen hatte, um ihren Arzt zu sehen, den sie wenigstens einmal wöchentlich aufsuchte. Ihr Verhältnis zu ihm war, wie sie sich ausdrückte, fast familiär. Sein Einfluß auf das Ungeborene sei nicht zu unterschätzen. Emil verstand nicht, was sie damit meinte, und er schob es auf ihren Zustand. Sie war überzeugt, einen Jungen zu gebären.
    Er wählte Sebastians Nummer, er wollte ihn zur Rede stellen. Er wollte Gewißheit darüber, wie sich die Dinge verhielten, was er wußte, was seine Mutter erwartete, und ob die Gefahr, die von ihr ausging, so ernst zu nehmen sei, wie er sie nahm. Sie telefonierten nur selten, ihre künftigen Treffen hatten sie meist von Mal zu Mal verabredet, wenn sie sich sahen. Ihre nächste Verabredung war erst für die kommende Woche geplant, doch so lange konnte er nicht warten, er mußte Sebastian jetzt sprechen.
    IhreTrennung nach der Rückkehr aus Paris war von kurzer Dauer gewesen. Genau zwei Wochen nachdem sie sich auf dem Bahnhof getrennt hatten, hatte Sebastian vor dem Schulhaus auf ihn gewartet. Emil hätte es auch nicht viel länger ausgehalten. Sie hatten natürlich darauf geachtet, es wie eine

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