Zur freundlichen Erinnerung
Wand!"
Peter Nirgend schloß die Augen.
Nach einer ziemlichen Weile wurde die Tür wieder aufgeriegelt. Wieder erschien der hochgehobene Arm des Sergeanten mit der Petroleumlampe, nur diesmal sehr zitternd. Offiziere traten ein. Einer beugte sich über den Toten am Boden. Dann trugen zwei Soldaten die Leiche hinaus.
"Was haben Sie denn da gemacht!?" fragte der Major Peter.
Der schwieg. Kopfschütteln. Ein Soldat trat ein, stand stramm, erzählte den Hergang.
"Sowas heißt sich deutscher Soldat!" schnarrte der Leutnant beflissen.
Inzwischen trug man ein Tischchen herein. Die Lampe wurde daraufgestellt und der Gerichtsoffizier nahm das Protokoll auf. Nach der Vernehmung des gänzlich gebeugten, zusammengefallenen Sergeanten und des anderen Soldaten, trat der Leutnant abermals an Peter heran, stieß ihn: "Und Sie?"
"Was haben Sie anzugeben?" rief der Gerichtsoffizier gleichfalls über den Tisch.
Keine Antwort kam.
"Kerl!"
Schweigen.
Das Protokoll wurde verlesen.
"Geben Sie das zu?" fragte der Gerichtsoffizier den Angeklagten.
Dieser nickte stumm.
Kopfschüttelnd verließen die Offiziere den Raum. Zwei Soldaten der
Baukompagnie 14 mit bajonettbepflanzten Gewehren blieben zurück. Der
Tisch mit der Petroleumlampe gleichfalls.—
"Schuft!" knurrte einer der Wächter und versetzte Peter einen Stoß in den Leib. "Du sollst unsere Überstunden schmecken, Hund!" fluchte der andere und schlug ihm die Faust ins Gesicht.
Müde geworden, setzten sich die zwei Wachhabenden auf das trockene
Flecklein des Bodens und zündeten sich Zigaretten an.
"Kamerad! Einen Zug! Einen Zug!" wimmerte mit einem Male Peter flehend.
"Ah?" rief der Raucher hämisch, ging an den Gefesselten heran und hielt ihm die rauchende Zigarette unter die Nase: "Riecht gut, Herr Halsabschneider, hm?"
"Laß ihn doch! Er ist nicht wert, daß man ihn anschaut!" brummte der andere Soldat. Aber der Angesprochene ließ sich nicht abhalten.
Da reckte sich Peter stemmend, schrie: "Hasenfüße!"
"Halt die Fresse, Hund!" fielen die beiden ihn an und warfen ihn zurück, daß die Pritsche knarrte. "Hasenfüße!" plärrte Peter wilder.
Die beiden hielten die Gewehrläufe drohend auf ihn gerichtet: "Noch ein Wort und wir knallen dich nieder!"
"Hasenfüße!" schrie Peter noch greller. Die Wächter schlugen sinnlos auf ihn ein.
"Hasenfüße!" bellte der Gefesselte aus Leibeskräften: "Hasenfüße!
Hasenfüße!"
Da schossen sie. Das Gehirn peitschte an die Wand.
Als der Sergeant und die Landstürmer schlotternd angestürmt kamen, standen sie wie geistesabwesend stramm. Erst als kurz darauf der Leutnant eintrat, meldeten sie zugleich: "Melden Herrn Leutnant, daß wir ihn erschossen haben, weil er uns Hasenfüße genannt hat."
Der Leutnant warf einen flüchtigen Blick auf die Leiche, drehte sich herum und sagte befehlsmäßig: "Gut! Abtreten!"—
Tags darauf diktierte er dem Kanzleiunteroffizier folgende Meldung an das Oberkommando der östlichen Streitkräfte in die Maschine:
"Meldereiter Peter Nirgend, zugeteilt dem Stab der Eisenbahntruppen, wurde wegen Befehlsverweigerung inhaftiert. Weiterleitung des Verfahrens war dem Kriegsgericht der Etappenkommandantür übergeben. Nirgend ermordete kurz nach seiner Einlieferung in die Arrestanstaltin seiner Zelle den Unteroffizier der Eisenbahnbaukompagnie 14 Joseph Thiele durch Durchschneidung des Halses. Sofortige Protokollaufnahme durch den Gerichtsoffizier ergab Mord. Exekution wurde auf andern Tag 9 Uhr festgelegt. Infolge fortgesetzter Widersetzlichkeiten gegen die Wachhabenden und Verhöhnung des Feldheeres, mußten die Pioniere Traugott Schloch und Otto Flemming von der Eisenbahnbaukompagnie 14 von der Waffe Gebrauch machen, was den Tod des Nirgend zur Folge hatte."—
Wegen Nachlässigkeit im Dienst wurde der Arrestsergeant strafversetzt.—
Einige Wochen später stand in einem Tagesbericht des Oberkommandos: "Wegen pflichtmäßiger Ausführung eines Befehls wurden ausgezeichnet mit dem Militärverdienstkreuz zweiter Klasse laut Beschluß des O.K.d. O.A.: der Pionier Traugott Schloch bei der Eisenbahnbaukompagnie 14, der Pionier Otto Flemming bei der Eisenbahnbaukompagnie 14."
MICHAEL JÜRGERT
I.
"Alle Dinge sind eitel." Immer kehrt dieses Wort wieder, wenn der Name Michael Jürgert in meiner Erinnerung auftaucht. Viele Male habe ich nachdenkend dieses Leben umschritten wie einen verfallenen, traurigen, rätselhaften Garten. Unruhig suchte ich nach dem Sinn dieses Ablaufs, trachtete danach, all die
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