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Zur freundlichen Erinnerung

Zur freundlichen Erinnerung

Titel: Zur freundlichen Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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daß er's kriegt, wenn er fleißig in die Kirch' rennt und um den Pfarrer herumscharwenzelt recht bigott! Sowas tragt immer was ein!" war ungefähr die übliche Bauern-Nachrede, als es verlautbarte, daß Michael das Pfremdinger-Anwesen vom "Herrn Hochwürden zudiktiert" bekommen habe.
    Acht Tage nach dem Begräbnis fuhr Michael auf einem Schubkarren die spärliche Habschaft seiner Mutter ins Pfremdingerhaus und am darauffolgenden Tag die Sachen der alten Pfanningerin ins Gemeindehaus. Hinter manchem Fenster stand ein spöttischspitzes Gesicht und sagte ungefähr: "Der hat's leicht. Kann sein Zeug auf dem Schubkarren fahren."
    Gut ein Vierteljahr war Stille.
    Wenn die Mäher beim Morgendämmern auf die Felder gingen, sang immer schon die Sense Michaels unter dem flinken Schleifstein.—
    Dann kam das Unglück.
    Die einzige Kuh, die im Jürgertstall stand, ging ein. Notschlachtung mußte vorgenommen werden.
    Die Bauern kamen, musterten das Fleisch mißtrauisch, kauften, schimpften: "Ob er vielleicht nicht wisse, daß die Suppenbeine als Zuwag' dreingingen?" Und einige wieder sagten in beinahe mitleidigem Tonfall: "Ja, mein Gott, Bauer sein ist nicht so einfach! … Sonst tät's ja jeder machen."
    Drei Wochen nachher begrub man die alte Jürgertin.
    "Wärst' Knecht geblieben, wär gescheiter gewesen," sagte Söllinger zu seinem ehemaligen Knecht, "wenn's einmal angeht, hört's nicht mehr auf."—
    Michael stürzte sich in die Arbeit. Der Pfarrer kam ein paarmal ins
Haus, sah nach.
    "Eine Kuh halt, eine Kuh, Herr Hochwürden!" murmelte Michael hin und wieder dumpf.
    "Der Herr hat's gegeben—der Herr hat's wieder genommen," antwortete der Geistliche nur.—
    Und Michael verkaufte Heu und die zwei letzten Säcke Korn. Droben auf dem schmalen Streifen, über den Söllingerfeldern, hatte er dieses im letzten Jahr noch gebaut. Vom Reinalther lieh er sich damals den Fuchsen und den Pflug, ackerte. Und seine Mutter humpelte hinterdrein und säte.—
    Es war Ferkelmarkt in Greinau. Die ganzen Bauern aus der Umgegend standen gruppenweise auf dem Platz vor der Gastwirtschaft "Zur Post", handelten hartnäckig herum mit den Händlern und kauften endlich. Die eingepferchten Jungschweine machten einen Heidenlärm, die Pferde scharrten ungeduldig und wurden unsanft zurückgerissen. Die Wirtsstube war vollbesetzt. Aus und ein ging man, redete, schmauste, und knarrend und knirschend, in scharfem Trab, rollten die Wägelchen davon.
    Schüchtern kam tief am Nachmittag Michael an. Die Bauern stießen einander, zwinkerten, tuschelten spöttisch.
    "Jesus! Jesus! Jetzt wird's besser, der Michl kauft Ferkel!" lachte
der pralle Postwirt aus einer Gruppe und alle richtetengeringschätzige
Blicke auf den Häusler. Schweigsam und scheu umschritt der die
Ferkelsteigen. Es wurde schon leerer auf dem Platz.
    "Paß fein auf, daß sie dir nicht im Sack ersticken, Michl!" warf der Söllinger rülpsend auf den Wagen steigend Michel zu, als er sah, daß dieser zwei lautgrunzende Jungschweine in seinen Sack zog. Sein hämisches Lachen schnitt die Luft auseinander.—
    Dämmer stieg schon von den Feldern auf. Nacht sickerte gelassen vom Himmel. Michael schritt beschwerlich aus. Die Schweine rumorten immerzu im Sack auf seinem Rücken. Er mußte fest zuhalten, daß ein lahmer Krampf langsam in seine Arme rieselte. Aber die bogen sich wie aus Eisen von der Brust über die Schulter.—
    Die Schritte hallten vereinsamt.
    Stille.—
    Jetzt waren auch die Schweine still geworden, ganz still. Auf einmal merkte es Michael. Ein Schreck durchfuhr ihn. Jähe Mattigkeit fiel bleischwer in seine Kniegelenke. Er rüttelte den Sack vorsichtig, fast wie einer, der zwischen Hoffnung und Angst vor der Gewißheit schwankt und nicht mehr aus noch ein weiß.
    Nichts.
    Er rüttelte stärker.
    Nichts.—
    Inzwischen war er an der schmalen Brücke, nah vor dem Hügel angelangt, auf dem das Söllingergehöft mit gelben Augen saß.
    Der Bach murmelte gleichmäßig versunken.
    Schweißtriefend zerrte Michael den Sack auf die Brücke, wollte—in unseliger Verzweiflung blitzhaft an den Spott Söllingers denkend —nachsehen. Da—da—wupp!—fiel der Sack in die Tiefe. Es platschte. Breite Ringe warf das Wasser und jetzt plärrten plötzlich die Schweine heulend auf. Es gurgelte etliche Male und war jäh grauenhaft still.
    Mit einem furchtbaren Aufschrei sprang Michael ins Wasser, tappte wie ein schwimmender Hund ungelenk auf der Oberfläche herum, weinte, hustete, tauchte, schrie,

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