Zur freundlichen Erinnerung
Sie bewegten sich und redeten wie Menschen, die nichts anficht. Es strömte eine seltsame Festigkeit aus ihren Gebärden und Worten.
Verlassen, nutzlos, ein jämmerlicher Wicht stand Adam Högl da.
Unerbittlich brach die Scham der letzten Wochen aus ihm, stieg, stieg.
Bettelnd, hilflos blickte er auf alle Menschen.
Endlich gab er sich einen Ruck und ging wieder weiter. Sein Gesicht bekam langsam eine größere Ausgeglichenheit. Fester, entschlossener, mit dem erleicherten Ernst eines Menschen, der sich durch eine große Erschütterung die Ruhe wieder zurückerobert hat, schritt er fürbaß.—
ABLAUF
I.
Man sagt, wenn sich die zwanziger Jahre aus einem Menschenleben winden, fangen die Reibungen an zwischen natürlichem Denken und dunklem Trieb. Es beginnt ein Aufruhr im Innern. Über die Dämme, die die Erziehung notdürftig aufgebaut hat, bricht das Blut und je nach der Festigkeit des Betroffenen folgt einer solchen Krise eine Zerrüttung, ja nicht selten ein zeitweiser gänzlicher Zusammenbruch und nur langsam, unter Weh und Qual, stellt sich das Gleichgewicht wieder ein.—
Glücklich derjenige, der von früh auf Menschen, Bücher, Winke,
Erfahrungen und Anleitungen kennenlernte, die seinen Horizont
erweiterten und ihm einigermaßen dazu verhalfen, solchen
Erschütterungen nicht ganz wehrlos zu begegnen.
Alle aber, die von Kind auf nichts anderes kennenlernen, als daß dieser oder jener geschickte Handgriff, diese Finte oder jene schwer erlernbare Körperhaltung die Mühe der Arbeit erleichtern, haben wenig Zeit, sich gegen solche innere Überfälle zu wappnen. Es ist wahr, auch sie überwinden. Aber sie leiden mehr darunter und werden ärger mitgenommen von solchen Qualen. Der Schmerz fällt hier mit schwererer Wucht nieder auf arglose, unvorbereitete Herzen. Die Jahre verfließen verbraucht und wenig sinnvoll für solche Menschen. Sie stehen meist unvermerktmitten im Gestrüpp plötzlich hervorbrechender Gefühle, kämpfen blindlings gegen ihre Dämonie, werden überwältigt davon und fallen schließlich in gänzliche Lethargie.—
Johann Krill fiel so in den Rachen der Welt.
Sein Vater war Zimmermann auf einem Dorfe, seine Mutter Bauernmagd. Auf einmal war dieses Kind da und man mußte notgedrungen heiraten. Man frettete sich gerade so durch gegen Taglohn. Wenn das Akkordmähen zur Erntezeit anfing, war es am besten. Zimmererarbeiten gab es wenig. Hin und wieder Baumfällen und Holzspalten im staatlichen Forst, das war ziemlich alles.
Es hieß eben: "Nicht krank sein!" und "Sich nach der Decke strecken!"
—Kinder solcher Eltern, noch dazu "ledige", haben nichts Gutes bei den
Bauern. Es heißt aufstehen mit den Knechten um vier Uhr früh, zugreifen
und den anderen an Flinkheit nichts nachgeben und den Mund halten. Die
Knochen schmerzen am Anfang, aber das verliert sich mit der Zeit.—
Nach seiner Schulentlassung kam Johann zu einem Schlosser im nahen Marktflecken zur Lehre. Jetzt waren es Hammerstiele und Eisenstangen oder Wellblechstücke, mit denen man warf oder zuschlug. Und wehe, wenn der Vater eine Klage hörte! Sein Ochsenziemer, der stets neben dem Handtuch am Ofen hing, war furchtbar.
Nun, es kam schließlich die Gesellenprüfung und der Achtzehnjährige ging auf die Wanderschaft. Als gutgelernter, sehniger Arbeiter landete er dann nach ungefähr fünf Jahren in dieser Stadt und fand Stellung in einer Fabrik. Es war ein Riesenwerk, man verdiente gut und hatte keinen schweren Posten geschnappt.
An einem Abend—es war Sommer und Samstag—kam Johann in seinem Zimmer an, wusch sich, zog seinen Sonntagsanzug an und steckte Geld zu sich. Er bummelte erstmalig wie ein freier Mensch in aufgefrischter Stimmung durch die Straßen, besah sich das bunte Treiben, trank in verschiedenen Lokalen und als diese geschlossen wurden, trottete er, auf einmal merkwürdig überwach und unruhig, die "Fleischgasse" auf und nieder. Diese Straße hieß eigentlich "Fleuschgasse", getauft nach dem Namen eines verdienten Ehrenbürgers der Stadt, aber seitdem die Polizei verfügt hatte, daß sich nur hier die professionellen Prostituierten auf und ab bewegen durften, hatten Volksmund und üble Nachrede den harmlosen Namen "Fleusch" in den anzüglichen "Fleisch" umgewandelt.
Johann Krill brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen. Schon nach kurzer Zeit redete ihn eine süßliche Stimme an und besinnungslos folgte er. Zum erstenmal in seinem Leben fiel der junge Mann in eine vollkommene Verwirrung. Eine ganz fremde
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