Zur freundlichen Erinnerung
Luftschicht umschwelte ihn. Er wußte nicht mehr, ging oder schwebte er. Durch all seine Glieder flog und flammte es. Er sah alles doppelt, hörte jedes Geräusch wie aus weiter Ferne und wußte nicht, was es war. Wie ein Hitzklumpen fiel sein Körper auf eine schwammige Teigmasse und ertrank darin. Es biß sich jemand fest an ihm. Es lachte.
Langsam kehrte alles wieder zurück, wurde deutlicher und war ein grünliches Zimmer, ein Gesicht, das breit auseinandergeflossen vor ihm lag.
Schließlich, als er die Besinnung wieder hatte, verzog auch er das Gesicht zu einem Lachen, wollte reden, begann zu schlottern, schmiß seinen Kopf in ihre Brust und verschluckte das Weinen.
Erquickt darüber preßte ihn das Mädchen wild an ihre Brüste, nahm seinen zerwühlten Kopf und hob ihn auf, zog ihn kosend immer wieder an ihren dicklippigen Mund und küßte ihn unausgesetzt, daß er zuletzt gänzlich machtlos mit sich geschehen ließ und auf einmal weinerlich und wimmernd anfing, sein Leben zu erzählen. Stockend kamen ihm die Worte, so, als besinne er sich immer erst, bevor er sie über die Lippen lasse. Und beruhigt, fast ein wenig staunend saß das halbnackte Mädchen da und hörte zu. Aber auf einmal stockte es wieder—und endete und wieder griffen seine Arme aus, er umspannte sie, riß und zerrte an ihr, daß sie aufkreischte.
"Nimm alles! Tu alles!" murmelte er verhalten, als sie seine Geldbörseaus der Hose zog, drängte es ihr auf, dieses Geld, und beleckte ungeschlacht ihren ganzen Leib wie ein durstiger Hirsch.
Und nicht nur das. Plötzlich klang sein Gemurmel wieder weinerlich und in einem fort stöhnte er: "Du! Du! Ich hab dich so gern! Du—du! Ich möcht dich heiraten. Ich arbeit', ich mach' alles. Du hast es gut bei mir! Du! Du!"
Anfänglich schien es, als belustige sich das Mädchen über ihn. Sie zog ihn an den Haaren und kitzelte ihn lachend. Dann aber, als seine Wildheit immer mehr anschwoll und seine Züge einen fast irren, düsteren Ausdruck annahmen, ließ sie das Spielen. In ihren schlaffen Körper stieg mit einem Male eine Wärme. Überwältigt, zuckend sank sie zurück, ihn umfangend. Sie, über die vielleicht Hunderte hinweggegangen waren, umschlang diesen plumpen, ungeschlachten Menschen und küßte ihn mit dem ganzen, hingegebenen Ernst echter Liebe….
In der Frühe nach dieser wüsten Nacht rannte Johann in seinen Sonntagskleidern zur Fabrik, wankte wie betrunken durch das zufällig offene Tor und erschrak derart, als ihn der Portier anrief und fragte, was er denn an einem Feiertag hier wolle, daß er sich wie ein plötzlich ertappter Dieb umdrehte und wortlos davonjagte. Er lief durch die Straßen mit eingezogenem Kopf, ging wieder langsamer, setzte sich in irgendeine versteckte Nische und hielt seinen erhitzten Kopf fest. Immer wieder mündete er in die "Fleischgasse", wagte es aber nicht, hinaufzugehen zu seiner auf so eigentümliche Weise gewonnenen Geliebten. Der Abend kam. Die Nacht fiel herab und er stellte sich an die Ecke, wo er sie getroffen hatte, wartete und wartete. Und es geschah etwas, was niemand gedacht hätte, etwas, was ebenso unglaubwürdig wie wunderlich klingt—: Anna kam nicht. Sie stand an keiner Ecke, war überhaupt nicht auf der ganzen Straße zu sehen. Sie lag droben—so wie er sie verlassen hatte—im Bett, verstört, zerbrochen und bekam erst wieder völliges Leben, als er nach langem Kampf und mit vielen Finten zu ihr gelangt war.
Aufgefrischt schwang sie sich aus ihrer Lagerstatt, streichelte ihn zärtlich und begehrend und sagte zuletzt muttergütig: "Ja, dich möcht ich heiraten."
Beide standen benommen voreinander, ein jedes zitterte und sagte nichts mehr.—
Seit dieser Zeit haßte man Johann in der Fabrik. Er verhielt sich wie völlig verstummt und hatte stetsein Gesicht, als wolle er die ganze Welt umbringen. Er arbeitete für drei. Und jeden Tag verließ er fast fluchtartig nach der Arbeit die Fabrik und kam zu Anna. Als es endlich ruchbar wurde, daß er sich verheiraten wolle und man es ihm sagte, ihn beglückwünschte und leichte Anzüglichkeiten machte, wurde er rot his hinter die Ohren und schlug verwirrt die Augen nieder.
"Ja! Ja!" schrie er dann auf wie ein brüllendes, gereiztes Tier, daß die Fragenden halb verärgert und halb verblüfft "Oho!" herausstießen und sich alle mit ihm verfeindeten.
Alle wunderten sich, daß er gar keine Anstalten zur Hochzeit traf. Er
hielt bei keinem seiner Arbeitskollegen um die Brautzeugenschaft an.
Finster
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