Zurueck in die Nacht
klar, dass ich das Mädchen
bin. Ich sehe mich selber durch Jays Augen.
Ich bin der einzige,
der mit dir reden darf . Ich bin der einzige, der entscheidet, was mit
dir geschieht. Ob du lebst oder stirbst. Ob ich dir zu essen und zu trinken
bringe oder nicht. Was mit deinem Körper geschieht. Und mit deinem Geist. Du
gehörst mir. Nur noch mir. Du hast das Recht auf Leben verwirkt. Seine
Stimme ist eiskalt und dadurch umso angsteinflößender.
Doch die
richtige Panik kommt erst, als er gleich darauf urplötzlich verschwindet. Sie
packt mich mit einer Riesenfaust und zerquetscht mich. Nein! Jay! Lass mich
nicht allein! Bitte! Nimm mich mit! Geh nicht weg! Aber meine Schreie
verhallen ungehört in meinem Kopf. Er ist weg. Ich bin allein. Für den Rest
meines Lebens.
Wie ich die folgende
Zeit überstehe, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob es nur Minuten sind oder
Ewigkeiten. Ich habe nichts außer meinen Gedanken. Jay meldet sich nicht mehr.
Aber meine Gedanken foltern mich. Immer wieder sehe ich mich selber und weiß
nicht, ob es nur eine Erinnerung ist oder ob er da ist und mich ansieht. Ich
habe schreckliche Angst, mit ansehen zu müssen, wie er mir irgendetwas antut.
Oder wie ich langsam verhungere und verdurste. Denn ich fühle nichts. Nicht, ob
ich trinke oder esse. Nicht, ob ich schlafe oder wache. Nicht, ob meine Arme
und Beine langsam absterben. Nicht, ob Ratten oder anderes Ungeziefer über mich
kriechen. Einfach absolut gar nichts. Aber ich sehe all diese Bilder und
schlimmere in meinem Kopf.
Und dazwischen
sehe ich Arik. Was ist mit ihm? Ich habe Jay nicht gefragt, ob er überlebt hat.
Ich war nur mit mir beschäftigt. Und auch, wenn er mir wahrscheinlich sowieso
nicht die Wahrheit gesagt hätte, bereue ich es doch zutiefst, meine einzige
Chance verspielt zu haben. Vielleicht haben sie ihn längst wieder gefangen und
er liegt in einem ähnlichen Käfig direkt neben mir. Vielleicht ist er ertrunken
oder durch einen Sturz auf die Felsen jämmerlich verblutet. Vielleicht haben
sie ihn längst umgebracht. Vielleicht foltern sie ihn.
Ich drehe durch.
Die Bilder – seine, meine – werden immer schlimmer. Ich kann das nicht
ertragen. Aber ich kann sie nicht abschalten. Sie gehen weiter und immer
weiter.
Arik
Als ich erwache,
bin ich allein im Zimmer. Es ist helllichter Tag. Ich kann es nicht fassen,
dass ich überhaupt schlafen konnte, und dann auch noch länger als alle anderen.
Und ohne ein einziges Mal an sie zu denken. Clarissa. Die mich verraten hat.
Die jetzt allein in den Händen der Wächter ist. Die jetzt selbst eine Wächterin
ist. Der Gedanke tut so weh, dass ich ihn am liebsten gleich wieder verdrängen
würde. Aber ich zwinge mich, es nicht zu tun. Ich bin zu oft weggelaufen und
habe sie allein gelassen. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre das alles nicht
passiert. Dann hätte ich sie nicht für immer verloren. Aber auch, wenn sie
jetzt nie mehr zu mir gehören kann, werde ich alles tun, um sie da raus zu
holen. Und wenn es das letzte ist, was ich tue – was, wenn man es mal
realistisch betrachtet, wahrscheinlich auch so sein wird.
Ich mache mich
auf die Suche nach den anderen und finde sie im Nachbarzimmer. Claire und
Raphael sitzen Hand in Hand eng nebeneinander auf einem der Betten, während
Mike und Patti ebenfalls nebeneinander (aber nicht händchenhaltend) das zweite
Bett besetzt haben. Also ziehe ich einen klapprigen Stuhl in die Mitte, nehme
rittlings darauf Platz und sehe die anderen fragend an. „Und? Wie ist der
Plan?“
Mike grinst.
„Hallo, Sonnenschein. Freut uns auch, dich zu sehen. Hoffe, du hast
ausgeschlafen!“
Auch Patti
grinst, während die anderen beiden mich noch nicht einmal zu bemerken scheinen.
Sie haben nur Augen füreinander. Ich kann ihren Anblick kaum ertragen. Zum
einen, weil ich sie noch nie zusammen gesehen habe und bis vor nicht allzu
langer Zeit Raphael für den schlimmsten Menschen auf Erden gehalten habe, der
allein meine Mutter in ewiges Unglück (in Form von mir und Mike) gestürzt hat.
Zum zweiten, weil ich bis ebenfalls vor kurzem gedacht habe, dass alles, was ich
von Claire zu wissen glaubte, erstunken und erlogen war und sie das einzige, an
was ich glaubte, in den Schmutz gezerrt und zerstört hat. Und drittens, weil
mich die Liebe und das Glück, mit denen sie sich so offensichtlich ansehen, so
stark an Clarissa und das, was ich unwiederbringlich verloren habe, erinnern,
dass ich fast daran zerbreche.
Mike scheint zu
spüren,
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