Zurueck in die Nacht
Hand. Diesmal spüre ich zwar ein
leichtes Schwindelgefühl, aber wenigstens kippe ich nicht gleich wieder um.
Claire stützt mich unauffällig, während ich fassungslos dem Sprecher, der in
großen Schritten auf uns zu kommt, entgegen schaue. Mike! Und er ist nicht
allein. Ich merke, wie Claire an meiner Hand plötzlich stocksteif wird. „Nein.
Das kann nicht sein!“, haucht sie. Und dann ist sie es, die einfach umkippt.
Mike
Mein ganzes
Leben lang war meine Mutter der konstante Faktor. Konstant abwesend. Und doch
immer da. Als fixe Idee im Kopf meines Vaters, die mir meine Kindheit und
Jugend sehr erschwert hat. Und als Bild in seinem Zimmer, das ich nur ganz
selten heimlich, wenn er nicht da war, betrachtet habe. Sie sah darauf so
lebendig aus! Immer habe ich davon geträumt, dass sie eines Tages aus diesem
Bild heraustritt, mich in ihre Arme schließt und sagt: „Da bin ich.“ Und doch
habe ich nie daran geglaubt, sie tatsächlich eines Tages zu treffen. Und jetzt
liegt sie da, vor mir, auf dem Felsboden. Raphael steht neben mir und sieht aus
wie schockgefroren. Am liebsten würde ich diesen Moment für alle Ewigkeit
festhalten, doch leider haben wir überhaupt keine Zeit. Die Wächter, die wir
aus dem Burgtor haben stürmen sehen, müssen jeden Moment hier sein.
„Los!“, fahre
ich meinen Vater an. „Schnapp sie dir und dann nichts wie weg! Anstaunen kannst
du sie später noch genug. Falls wir dann noch leben!“
Das bringt ihn
zur Besinnung. Ohne weitere Fragen stürmt er auf Claire zu, bückt sich, hebt
sie hoch, als ob sie überhaupt nichts wiegt, und wendet sich dann mir zu. „Wohin?“
„Keine Ahnung! Egal!
Hauptsache weg hier!“
Ich greife auch
Arik am Arm, der mich anstarrt wie eine Erscheinung, und renne los. Patti fasst
meine andere Hand und ich sehe, wie sie mit ihrer freien Hand Raphael am Ärmel hält.
Dann renne ich los, in Richtung Motorrad und zurück in der Zeit. Vielleicht
haben wir ja Glück und die Wächter rechnen nicht damit. Auch wenn das höchstens
einen kleinen Aufschub bedeuten kann.
Wundersamerweise
schaffen wir es tatsächlich, unbehelligt bei unserer Maschine anzukommen. Dann
jedoch ist guter Rat teuer. Denn schon zu dritt war es darauf recht eng. Und
jetzt sind wir fünf. Das passt beim besten Willen nicht. Zwei von uns müssen
hier bleiben.
„Fahrt ihr! Ich
gehe nicht ohne Clarissa!“ Arik wirft mir einen entschlossenen Blick zu und
verschränkt die Arme.
„Und wie willst
du ihr helfen?“
Er sieht mich
böse an. „Keine Ahnung. So wie sie mir geholfen hat. Mir wird schon was
einfallen.“
„Damit sie dich
auch wieder fangen und alles, was sie getan hat, umsonst war?“
„Dir ist schon
klar, dass sie dich überhaupt erst in diese Lage gebracht hat, oder?“, mischt
sich Patti ins Gespräch ein. „Sie hat euch verraten.“
Arik funkelt sie
an. „Das sagt die Richtige!“
„Aber ich gehöre
nicht mehr zu ihnen. Sie schon!“, kontert Patti hitzig.
„Das Mädchen hat
Recht, Ariel“, ertönt auf einmal Claires leise Stimme aus Raphaels Armen. Alle
Köpfe wenden sich ihr zu. Sie macht eine gleitende Bewegung und steht plötzlich
vor Raphael, der sie anstarrt wie ein Weihnachtswunder. Sie nimmt seine Hand,
lächelt ihn liebevoll an und fährt dann fort: „Clarissa ist eine Wächterin. Sie
ist an Jehudiel gebunden. Ich habe es gesehen. Sie kanndort nicht weg.
Niemals. Du musst sie vergessen. Es gibt keinen Weg zurück.“ Ihre Stimme klingt
traurig, aber sicher.
Trotzdem
schüttelt Arik weiterhin störrisch den Kopf. „Das ist mir egal. Es gibt immereinen Weg!“
„Diesmal nicht.
Ariel, bitte! Sei vernünftig! Ich möchte dich nicht noch einmal verlieren!“
Ariks
entschlossener Ausdruck wird unsicher. Ich kann sehen, wie er mit sich kämpft. Dann
gibt er nach. „Okay. Gehen wir. Erst mal. Aber ich schwöre euch, ich komme
zurück. Ich lasse sie nicht allein. Niemals!“
In Anbetracht
einer besseren Alternative beschließen wir, in Etappen zu fahren. Die Wächter
sind vor allem hinter Arik und Claire her, während sie von unserer Anwesenheit
nichts wissen. Raphael und Patti verstecken sich in dem Wäldchen, in dem auch
unser Motorrad war, und ich bringe Arik und Claire zuerst weg, in einigermaßen
sichere zeitliche Entfernung. Dort verstecken sie sich ebenfalls und ich fahre
zurück und hole die beiden anderen ab. Natürlich ist die Gefahr groß, den
Wächtern zu begegnen, aber aus mir unerfindlichen Gründen geschieht das nicht.
Wir
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