Zurückgeküsst (German Edition)
aufgehalten worden war und sie am folgenden Tag anrufen würde. Von beiden hatte ich auch die privaten Telefonnummern, aber es fühlte sich nicht richtig an, sie an einem Sonntagabend anzurufen. Sie hatten beide Familie und im Gegensatz zu mir eine strenge Arbeitspausenregel für die Wochenenden … mit anderen Worten: Sie waren normal. Dann schickte ich noch eine ähnliche Nachricht an BeverLee und Dad und eine weitere an Dennis für den Fall, dass er sich Sorgen machte. Die Vorstellung, dass er jetzt ohne mich auf Martha’s Vineyard war, versetzte mir einen Stich. Unsere Beziehung war … nun ja, bequem gewesen. Das Prickeln, die innere Verbindung, die Tiefe an Gefühl wie mit Nick waren nicht da gewesen, aber ich hatte mir immer gesagt, es wäre besser so. Reifer, dauerhafter, stabiler. Das zeigte wohl, wie wenig ich mich auskannte. Dennis hatte mich nicht heiraten wollen, Ende der Geschichte. Ich fragte mich, ob er wenigstens auch ein bisschen traurig war. Ehrlich gesagt, hoffte ich es; was würde es bedeuten, wenn er mich überhaupt nicht vermisste?
Obwohl es mein Zuhause war, kam mir Martha’s Vineyard wie eine ferne Erinnerung vor. Es war eigenartig, so weit weg zu sein, in einer Landschaft, die den vertrauten Hügeln und Felsen so gar nicht ähnlich war, in der es keine grauen Schindelhäuser und verwitterte Kiefern gab. Hier erstreckte sich das Land bis zum Horizont, und der Himmel war unendlich weit.
„Also gut, ich werde mal die Straße runtergehen“, erklärte Nick.
Ich blickte in die angegebene Richtung. „ Stan’s Bar . Klingt prima. Ein Bierchen trinken, Baseball gucken, ein bisschen Montana-Gefühl aufsaugen, stimmt’s?“
„Genauso ist es.“ Er hielt inne. „Du kannst mitkommen, wenn du willst.“
Ich schluckte. „Äh … nein. Ich muss ein bisschen arbeiten. Ich werde eine Runde mit Coco drehen und mich dann an den Laptop setzen.“
„Na schön. Schlaf gut.“
Er stand auf.
„Nick?“
„Ja?“ Er wirkte ein wenig müde und abgeschlagen. Man sah ihm sein Alter an … er war nicht mehr der Junge, den ich geheiratet hatte. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Vielen Dank, dass du das für mich tust.“
Er zuckte mit den Schultern. „Muss ich ja wohl. Wir sind jetzt verwandt.“
„Oh Gott, wirklich?“
Jetzt lächelte er mich in vertrauter Weise an. „Tja, du bist sozusagen die Stiefschwägerin meines Halbbruders, und damit sind wir verwandt. Zu Weihnachten erwarte ich Geschenke.“
„Verstanden. Ich werde eine aufblasbare Puppe bestellen, das Super-De-luxe-Modell.“
Er lachte und drückte mir die Schulter, wobei ich wieder dieses elektrisierende Gefühl hatte, das mir bis in die Zehenspitzen drang. „Gute Nacht, Harper.“
„Gute Nacht“, erwiderte ich leise.
Ich räusperte mich, warf den Abfall in den nächsten Mülleimer, nahm Cocos Leine und holte dann ihren Tennisball aus dem Auto. Wir spazierten ein Stück die Straße hinunter – hier gab es keine Innenstadt und keinen Park, was ich in Neuengland als selbstverständlich ansah. Aber es gab Wiesen, endlose Wiesen, also liefen wir dort entlang.
„Willst du fangen?“, fragte ich, und Coco erstarrte vor angespannter Erwartung, die Augen weit aufgerissen. Ich machte die Leine los und warf den Ball, so weit ich konnte. Schmunzelnd beobachtete ich, wie mein kleiner Hund über die Wiese tollte. Coco fand den Ball sofort, brachte ihn schwanzwedelnd zurück und legte ihn mir zu Füßen, damit ich ihn noch tausend weitere Male werfen könnte.
Es war eine gute Therapie, an der frischen, kühlen Luft zusein, die weite Landschaft und den sich langsam rosa färbenden Himmel vor Augen. Von der langen Autofahrt fühlte ich mich steif und müde.
Wie wäre es wohl, an einem Ort wie diesem zu leben? Laut Landkarte wohnten zweihundertfünfzehn Menschen in Sleeping Elk, dessen Name Programm zu sein schien: Hier schlief wirklich der Elch – oder noch mehr. Was arbeiteten die Leute hier? Welche Hobbys hatten sie? Wie lernten sie andere kennen? Wohin gingen sie aus oder essen, abgesehen von Charlie’s Burger Box und Stan’s Bar?
Vielleicht war es ein Ort wie dieser gewesen, in dem meine Mutter auf ihrer langen Reise durchs Land verweilt hatte. Vielleicht war es sogar genau dieser Ort gewesen, und sie hatte einen Job gefunden, eine Weile gearbeitet und war dann weitergezogen. Ich wusste sehr wenig über die letzten zwanzig Jahre, aber dank Privatdetektiv Dirk Kirkpatrick wusste ich, dass sie viel unterwegs gewesen war.
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