Zusammen Allein
den Händen.
»Zieh dich jetzt an, wir müssen telefonieren.«
»Am Telefon kann man nicht sehen, ob der andere im Pyjama ist oder nicht.«
»Joi, ist es jetzt Mode, das letzte Wort zu haben, selbst wenn man ein Grünschnabel ist? Mach mich nicht kaptschulig, sondern tu, was ich dir sage.«
Ich lernte an diesem Tag, dass ihr allein das letzte Wort zustand.
»Ja , hier Puscha.« Sie brüllte ins Telefon, als wäre meine Tante taub oder dumm oder beides. Es dauerte nicht lange, da stritten sie sich. Man merkte, dass meine Großmutter mit einem Rumänen verheiratet gewesen war, sie fluchte wie eine Rumänin.
»Sag dem Alten, er ist ein blöder Esel, er hat sich in die Nesseln gesetzt; das Kind will nicht mehr zu euch zurück. Ist ihm klar, dass er jetzt nichts mehr bekommt, keinen Leu?«
Ich verstand nicht, worum es ging, aber von Geld hatte auch Gicu immer wieder geredet.
»Mein Gott, das kann doch nicht wahr sein«, stöhnte Puscha. Und dann erzählte sie von ihrem kleinen Schlafzimmer und ihren Untermietern. Die alte Leier. Obwohl es um mich ging, wurde mir langweilig. Wozu ich mich waschen, kämmen und anziehen sollte, war mir unklar. Deshalb stand ich auf und spazierte in den Garten. Leo wartete auf mich. Er war so herrlich jung. Durfte jung und verspielt sein, niemand erwartete etwas anderes von ihm.
»Ich werde dich gut füttern«, flüsterte ich ihm in sein warmes Ohr, dann ließ ich ihn aus dem Zwinger, und gemeinsam erforschten wir das große Grundstück. Ohne Eile zeigte er mir die Hasenställe, den Marillenbaum, die Apfelbäume und die verwilderten Blumenbeete. Als wäre dies alles meins, öffnete ich die Arme und umarmte die Luft, die süß und blumig duftete.
Erst später kam mir in den Sinn, dass sich so viel Schönheit, so viel Privates nicht mit dem sozialistischen Gedankengut von Marx und Lenin vertrug. Ich schämte mich kurz und sehr intensiv.
Als ich in die Küche zurückkam, saß ein junger Mann auf dem Küchenstuhl. Es war nicht der von gestern Abend. Puscha begrüßte mich mit einem schroffen: »No, bist du endlich gekommen zu schauen, wie andere arbeiten?«
Mehrmals legte sie ihre ringbefingerte Hand auf die Schulter des jungen Mannes, suchte nach einer passenden Stelle, dann ergriff sie seinen rechten Arm und riss daran. Er schrie, schrie wie ein Tier, Tränen in den Augen. Als er sie weggewischt hatte, sah man, dass er lächelte. Vorsichtig bewegte er den Arm, bezahlte und verließ das Haus. Wie ich erfahren sollte, ging meine Großmutter mehreren Berufen nach. Im Viertel war sie bekannt wie ein bunter Hund; sie zog Zähne, arbeitete als Einrenkerin, handelte mit Lebensmitteln und wurde auch als Kupplerin angeheuert, schließlich kannte sie jeden und jede.
»Und du, was hast du angestellt?« Sie wischte sich die Hände an einem Tuch ab, gab es dann an mich weiter. »Den Hund rausgelassen vielleicht?« Aber in den Mundwinkeln erkannte ich doch ein Lächeln.
»Hast du mit der Eri gesprochen?«
»Jawohl.« Meine Großmutter seufzte wie über ein großes Unglück. »Die Welt ist eine Mördergrube, da hilft das ganze Gesülze über die Liebe nichts. Chaotisch und gierig ist die Natur. Der Mensch aber ist zusätzlich neidisch. Was die schlimmste aller Eigenschaften ist.« Nach diesem wirren Gerede machte sie eine vielsagende Pause. »Ich bin jetzt für dich zuständig«, schloss sie ihre Ausführungen.
»Seit sechzehn Jahren bin ich auf der Welt.«
»Du hast ja recht. Früher haben sie mich nicht an dichrangelassen, jetzt bekomme ich dich als Komplettpaket. Vielleicht sollten wir ihnen dankbar sein, dass sie endlich abgehauen sind, so können wir tun und lassen, was wir wollen.«
Breitbeinig stand sie vor mir und hielt meinem fragenden Blick stand. Unter ihren Achseln hatten sich Schweißränder gebildet. Vielleicht hätte sie mich umarmen sollen, vielleicht hätte ich sie umarmen sollen. Nichts geschah. Stattdessen breitete sich unser Schweigen aus, glitt in jede Küchenecke. Schließlich war ich es, die die Augen niederschlug.
»Schickt Mama Geld für mich?«
»Kruzitürken, dieses blöde Geld. Mach dir darüber keine Gedanken. Wir schreiben Pilla einen Brief. Mit Gicu kann man keine Geschäfte machen. Gibst du ihm einen Schein, will er einen zweiten und so weiter.«
Pilla heißt meine Mutter seit ihrer Schulzeit. Getauft war sie auf den Namen Doris, doch den kannte kaum jemand.
»Heißt das, ich darf bleiben?«
Statt einer Antwort wurde sie ausschweifend.
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