Zusammen Allein
»
Aber bedenke, du trägst jetzt ein Brandzeichen auf der Stirn, deine Eltern sind Systemflüchtlinge.« Puscha deutete mit zwei Fingern ein Rechteck auf ihrer Stirn an. »Glaub mir, die haben Übung im Schikanieren. Wenn ich dich behalte, dann werden die mich schikanieren und die werden dich schikanieren. Bist du wenigstens gut in der Schule?«
Im letzen Jahr war ich picken geblieben, besuchte zum zweiten Mal die achte Klasse, deshalb überhörte ich die Frage. Meine Großmutter wusste aber gut und sowieso Bescheid.
»Keine Sorge, ich kenn da jemanden, den werden wir schmieren, vielleicht lassen sie dich dann in Ruhe, du bist ja noch ein halbes Kind.«
»Ich soll mich nicht ums Geld sorgen, aber vor der Sekuritate willst du mir Angst machen?«, protestierte ich. »Wer nichts Schlimmes tut, bekommt auch keinen Ärger. Du musst also niemanden bestechen.«
»Joi, wie sie redet. Ein neugeborenes Schaf könnte nicht dümmer blöken. Schau, überlass das mir, du hast, wie mir scheint, keine Ahnung vom Leben.« Sie gab ein schmatzendes Geräusch von sich, das wohl ihre Unzufriedenheit unterstreichen sollte. Vielleicht dachte sie aber auch nur nach. »Am Nachmittag kommt Petre nach Hause, dann rede ich mit ihm. Du brauchst ein eigenes Zimmer.«
Somit war es offiziell, ich konnte meine Koffer auspacken.
Aufgekratzt rückte Puscha einen Stuhl zur Kredenz, stieg darauf. An den Beinen hielt ich sie fest, und mir wurde bewusst, dass wir uns erst wenige Stunden kannten. Trotzdem verband uns jetzt schon eine Hassliebe, die viel früher, bereits vor meiner Geburt, begonnen haben musste. Sie hatte mir eine Tür geöffnet, widerwillig, ich hatte sie gekämmt, widerwillig, doch ihre ruppige Art war mir so vertraut, als hätte ich nie etwas anderes gekannt und erwartet. Wir entschieden uns bewusst füreinander, an diesem ersten gemeinsamen Vormittag, als sie wacklig auf einem Stuhl stand und im obersten Fach der Kredenz kramte. Dann, vorsichtig, als würde sie mir wertvolle Goldbarren reichen, legte sie mir ein Päckchen Westkaffee, einen BH und Westschokolade in die Hand.
»Dot mes geneijen«, sagte sie und stieg wieder hinunter.
»Wer schickt dir Westsachen?« Mit gespieltem Widerwillen drehte ich die Sachen in der Hand. Solch einen BH wünschte ich mir schon lange.
»Was du für eine Figur bist«, lachte Puscha mich aus. »Alles willst du wissen, aber verstehen willst du nichts. Morgen geh ich aufs Amt, basta. Ich muss dich anmelden. Schau, meine Geschäfte sind bekannt, aber geduldet.«
»Du tust doch nichts Unrechtes?«
»Na hör mal, in diesem Land gibt es niemanden mehr, der nicht illegale Geschäfte tätigt. Da schließe ich mich nicht aus, aber ich bin schlau, und so schnell wird mir niemand ans Bein pinkeln.« Verschmitzt zwinkerte sie mir zu, als wären wir Verbündete in einer Verschwörung.
Als ich jedoch wenige Minuten später ein leeres Wasserglas fallen ließ, aus Versehen versteht sich, fuhr sie mich an:
»Joi, bei dir hat alles das Sterbenskleid an, kannst du nicht aufpassen.«
Sie war eine Hexe.
Aufs Amt ging sie alleine, weil sie befürchtete, ich könnte womöglich dummes Zeug reden. Stattdessen schickte sie mich zum Bäcker; denn ein Mensch ohne Arbeit kommt auf dumme Gedanken, erläuterte sie ihre Philosophie. Es gab kein Brot. Auch keine Wecken, auch nichts Salziges oder Süßes.
»Haben Sie gar nichts?«, fragte ich die beiden jungenFrauen, die hinter der Theke standen und sich angeregt über eine Geburtstagsfeier unterhielten. Es dauerte eine Geburtstagstorte, eine Geschenkauspackaktion und mehrere Tanzrunden lang, bis sie mir antworteten.
»Doch, wir haben etwas«, sagte die eine und lachte. »Wir haben geöffnet, von sieben bis siebzehn Uhr.«
Da ich schnell zurück war, begann ich in aller Seelenruhe nach Geld zu suchen. Es gab nur einen Kasten im Schlafzimmer. Aus dem mir mehrere Hutschachteln entgegenfielen. In den Schachteln waren jedoch keine Hüte, sondern Wollreste verstaut. Des Weiteren entdeckte ich: eine mottenzerfressene Fuchsstola und einen echten Persianermantel. Nur vier Kleider, eine schwarze und eine weiße Hose bevölkerten die Kleiderstange, aber hundert Gürtel und ebenso viele Schals. Seide und Kunststoff gemischt. Zweifellos, Puscha war eine Dame. Die Wäsche roch nach teurer Westseife und teuren Parfüms. Ich fand Briefe, ich fand Haarnetze, Schleifen und Handtücher, original verpackt, aber keine Dose, kein Geld.
In der Kommode neben dem Bett wieder Briefe,
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