Zusammen Allein
Unterwäsche und Schminksachen. Ungeduldig drehte ich die Matratze um, ich schaute unters Bett, klopfte die Kissen ab, durchforstete die Plattensammlung. Hinter einem der Fernseher endlich Bargeld. Doch es handelte sich um das normale Budget, dass man zu Hause aufbewahrte, ein paar Lei.
»Kruzitürken«, fluchte ich laut. »Alte Menschen haben immer Sparbücher und Notgroschen.«
Mein Ehrgeiz trieb mich in die Küche. Die Kredenz war übersichtlich eingerichtet, kostbares Porzellangeschirr,nicht ganz sauber gespült, stand neben Kristallgläsern und mehreren Vasen. Auch hier entdeckte ich Bargeld, in einer Zuckerdose versteckt, doch es war zu wenig zum Klauen. Schließlich gab ich auf und kehrte ins Schlafzimmer zurück.
Beim Suchen war mir ein Album in die Hände gefallen. Der Schutzumschlag, aus Stoff genäht, war mit dem Repser Wappen bestickt worden. Darin winzige Bilder, schwarz-weiß. Mit gezackten Außenrändern, die an Babymützen erinnerten. Ich blätterte das Album durch und vergaß die Zeit.
»Was machst du da?« Mit übergeschlagenen Beinen saß ich auf ihrem Bett, Leo lag neben mir. Seinen Kopf hatte er auf meinen Oberschenkel gelegt, seine Augen waren geschlossen. Draußen schien die Sonne, wir hätten rausgehen sollen. Mit zwei Händen hielt ich das Album in die Höhe.
»Mamusch ist in Reps geboren worden, nicht wahr.«
»Weißt doch alles.«
»Warum besitzt Mamusch kein Album? Sie hat auch keine Erinnerungen. Immer wenn ich sie irgendetwas gefragt habe, hat sie geschwiegen. Das ist doch nicht normal.«
Meine Großmutter zog die gezupften Augenbrauen in die Höhe und stemmte die Hände in die Seiten. »
Mütter sind eben komische Pflanzen. Sie haben keine Ahnung von Erziehung und wollen doch immer perfekt sein.«
Unsicher fuhr sie sich durch die roten Haare, und ich dachte, jetzt, jetzt gleich wirft sie mich raus, und recht hat sie, und wohin soll ich dann? Langsam kam sie auf mich zu. Doch statt die Hand oder das Wort gegenmich zu erheben, biss sie sich auf die Lippen, schob mich zur Seite und setzte sich neben mich aufs Bett. »Na, ruck schon.«
Gemeinsam schauten wir uns die Fotos an. Zu jedem Foto gab es eine Geschichte. Draußen war es warm, und in mir schmolz der letzte Rest Vorsicht. Warum meine Eltern sie wie den Teufel mieden, verriet sie mir jedoch nicht.
»Schau her, das ist mein guter, lieber Freund Misch.« Sie legte den Arm um die Männerschulter, die die perfekte Höhe für sie hatte.
»Wir kennen uns doch«, flocht ich ein und versuchte, nicht mehr auf diese Schulter und diesen Arm zu starren.
»Aber jetzt stelle ich ihn dir richtig vor. Er heißt Misch, eigentlich Michael, aber ich nenne ihn Kapitän, wunder dich also nicht. Er ist ein Viertel Ungar, ein Viertel Rumäne, ein Achtel Jude, der Rest ist gemischt.« Sie lächelte wie ein sehr junges Mädchen und tätschelte ihrem Freund den Rücken. Das war in Ordnung. Aber ich ahnte: Ein guter, guter Freund ist nicht die große Liebe, egal welchen Kosenamen man ihm gibt. Das spürt man, selbst wenn man noch nie geliebt hat.
»Servus«, mehr sagte ich nicht. Dabei gefiel er mir. Besser noch als am Vortag, als seine Augen glasig geschimmert hatten vom Wein. Kräftige Statur, kleiner Bauch, Vollbart, lächelnde Augen. Sein Hals war faltig, sonst aber sah er passabel aus. Er war deutlich jünger als Puscha.
»Küss die Hand.« Andächtig ergriff Misch meineRechte und hauchte seinen Atem darauf. Es kitzelte, ich lachte. Diesem Menschen war also auch österreichischer Charme beigemischt worden. Sein Deutsch war fehlerfrei.
»Sie sind Kapitän?«
»Schmarren«, Puscha antwortete an seiner Stelle, und so erfuhr ich, früher hatte er als Lehrer gearbeitet, in Rosenau, dann war er Reisebegleiter am Schwarzen Meer gewesen, jetzt verdiente er sein Geld als Journalist.
»Nenn mich nicht Journalist«, unterbrach er sie barsch. Seine Stimme aber lachte. »Kellner bin ich. Der ewig gleiche Gast sitzt da, bestellt Speisen, und ich serviere. So ist das und nicht anders.«
Mir gefiel seine Stimme. Aber mir gefiel nicht, wie und was er sagte. Auch der Vollbart störte mich.
»Glaub ihm kein Wort«, stellte Puscha klar, »wenn er so weitermacht, schmeißen sie ihn aus dem Land«, berichtete sie, und es war nicht klar, ob sie damit ihrem Stolz oder ihrer Angst Ausdruck verleihen wollte. »Vielleicht wandert er aber auch vorher aus, angeraten habe ich es ihm.«
Ob absichtlich oder nicht drehte sie Misch den Rücken zu und sah mich
Weitere Kostenlose Bücher