Zusammen Allein
gewöhnen konnte.
Das Kätzchen kam zurück und maunzte, als bestelle es Frühstück.
»Ich hab auch Hunger«, gestand ich. Und weil ich dachte, wenn meine Großmutter schon keine Tiere und keine Menschen und nichts liebt, vielleicht, nein, bestimmt liebt sie ihren Garten, öffnete ich die Arme mit einer weit ausholenden Handbewegung. Ich zeigte aufdas üppig wuchernde Paradies: »Es ist wunderwunderbar hier.«
Puscha zuckte die Schultern, schien sich aber zu freuen, dass ich nach Essen verlangte.
»Ein gutes Zeichen, dass du hungrig bist«, betonte sie. »Das kommt, weil du jetzt nach vorne schaust. Nur dann kann man verzeihen.«
»Ich werde nie verzeihen.«
»Sei nicht so hart gegen deine Eltern.«
Das fremde Kätzchen folgte uns ins Haus.
Katzen sind die wunderbarsten Lebewesen, die es gibt. Sie kommen, sie gehen, sie sind absolut frei in ihrem Tun. Schlaf- und Genusskünstler. Ruhen sie sich tagsüber aus, bezeichnet man sie als nachtaktiv, aber die Umkehr ist genauso richtig. Sie klettern und schleichen, springen und fauchen, sie sind immer Herr der Lage, nur im Straßenverkehr unterliegen sie.
Um das Kätzchen zu schützen, setzte ich es neben mich auf einen Küchenstuhl. Es gab frisches Brot und selbst gemachte Hetschenpetschmarmelade. Butter gab es keine, die war reserviert. Für den Metzger, wie Puscha mir nach hartnäckigem Fragen gestand. Dass das Fleisch ins Ausland verkauft werden musste, damit der Staat Devisen für den wirtschaftlichen Aufbau des Landes hatte, wollte sie nicht gelten lassen.
»Pah, halt mir keine Predigten, dieses Land ist im Arsch, oder sagt man am Arsch?« Sie lachte wie über einen gelungenen Witz.
Aber ich wurde traurig.
»Wer hält dich auf? Geh in den Westen, alle gehen.«
Puschas Blick fixierte mich, während ich meine zweite Brotscheibe bestrich.
»No, haben wir nicht gestern darüber geredet. Weil ich Angst habe, geh ich nicht, weil ich eine alte Schachtel bin.«
»Wie oft warst du verheiratet?«, wechselte ich das Thema.
Ihr Gesicht hatte sich gerötet, sie biss sich auf die Lippen. Man sah, dass sie nicht wusste, wie und was sie antworten sollte.
»Zweimal«, sagte sie endlich, und mit einer einzigen Handbewegung fegte sie das Kätzchen vom Stuhl, setzte sich neben mich. »Einmal Liebe, einmal Not. Die Not kam mit dem Krieg. Er hat mir die Liebe aus dem Herzen gerissen und mir zu allem Übel meine Existenz zerstört. Ich hatte eine eigene Werkstatt, die musste ich schließen.«
Neugierig schaute ich sie an, biss vom Brot ab. Die Marmelade schmeckte köstlich. Da entdeckte ich neben der Kredenz eine dicke Kakerlake. Sofort verging mir der Appetit.
Wie von weit her erreichte mich Puschas Stimme. »In der Poliklinik wollte ich nicht arbeiten, deshalb habe ich wieder geheiratet, was nichts anderes als eine Form der Arbeit darstellt.« Sie kicherte erneut, aber diesmal nicht wie eine Hexe, sondern wie ein junges Mädchen. Der Haarknoten hatte sich gelöst, sie zog die Nadeln heraus und bat mich, sie zu kämmen.
Obwohl ich mich ekelte, tat ich ihr den Gefallen und dachte an die Schönheit des Gartens, ich dachte an Leo und daran, dass ich nicht wegwollte. Die Katze durchsuchte die Küche nach Essbarem, als sie nichts fand, verließ sie uns und verschwand für immer.
Bestimmt war Puscha schön, als sie jung war. Die Haare schwarz, nicht gefärbt, die Lippen voll, nicht dünn. Die Haut glatt, nicht faltig.
»Warum erzählst du nicht weiter?«, hakte ich nach und beschloss, sie später nach Fotos zu fragen. Ihr Haar war längst gekämmt. Ein roter Umhang verbarg eingesunkene Schultern. Ich kämmte sie ein zweites Mal und wurde ruhiger. So oft hatte ich Friseur gespielt; mit Lockenwicklern, Spangen, Schleifen hantiert. Mamusch hatte alles geduldig über sich ergehen lassen.
»Joi, willst du hören, wie beschissen diese Welt ist?« Ihre Stimme klang hart und weich zugleich. Das Kämmen schien sie als Zuwendung zu verstehen. »An einem einzigen Tag soll ich dir mein Leben erzählen?«
»Kinder? Hattest du noch mehr Kinder?«
»Gott bewahre. Ein Kind, das mich nicht versteht oder nicht verstehen will, reicht vollkommen.«
Während sie diesen Satz herauszischte, so wie Schlangen zischen, bevor sie zubeißen, konnte ich ihre Augen nicht sehen, doch ich wusste, dass sie sehr verletzt worden war. Und ich stocherte in einer alten Wunde. »
Warum hat Mamusch nie von dir erzählt?«, bohrte ich. Unzufrieden ruckte sie zur Seite, verbarg ihr Gesicht zwischen
Weitere Kostenlose Bücher