Zusammen ist man weniger allein
Glastür. Schließlich steckte er den Zettel in die Hosentasche und verließ das Büro.
»Alles in Ordnung, Junge?«
»Alles in Ordnung, Chef.«
»Nichts Schlimmes?«
»Der Oberschenkelhalsknochen …«
»Ach, das ist bei den alten Leutchen nicht selten. Meine Mutter hatte das vor zehn Jahren, und wenn Sie sie heute sehen würden … Wie eine Gemse!«
»Sagen Sie, Chef …«
»Hört sich an, als wollten Sie den Tag frei haben, was?«
»Nein, ich mache die Mittagsschicht und erledige die Vorbereitungen für heute abend in der Pause, aber dann würde ich gerne gehen.«
»Und wer kümmert sich heute abend ums warme Essen?«
»Guillaume. Der Junge schafft das.«
»Tatsächlich?«
»Ja, Chef.«
»Wer garantiert mir, daß er das kann?«
»Ich, Chef.«
Der Chef verzog das Gesicht, herrschte einen Jungen an, der gerade vorbeikam, und befahl ihm, das Hemd zu wechseln. Dann drehte er sich wieder zu seinem Chef de partie um und fügte hinzu:
»Ist gut, hauen Sie ab, aber ich warne Sie, Lestafier, wenn heute abend eine Sache schiefläuft, wenn ich eine Bemerkung machen muß, eine einzige nur, hören Sie? Dann fällt es auf Sie zurück, ist das klar?«
»Ja, hab verstanden, Chef.«
Er kehrte an seinen Platz zurück und nahm das Messer wieder in die Hand.
»Lestafier! Waschen Sie sich zuerst die Hände! Wir sind hier nicht auf dem Land!«
»Leck mich«, murmelte er und schloß die Augen. »Ihr könnt mich alle mal.«
Schweigend machte er sich wieder an die Arbeit. Nach einer Weile wagte sein Gehilfe einen Vorstoß:
»Alles in Ordnung?«
»Nein.«
»Ich hab gehört, was du dem Dicken erzählt hast … Der Oberschenkelhals, stimmt’s?«
»Ja.«
»Ist es schlimm?«
»Nee, glaub nicht, aber das Problem ist, daß ich ganz allein bin.«
»Ganz allein womit?«
»Mit allem.«
Guillaume verstand nicht, zog es aber vor, ihn mit seinen Sorgen in Ruhe zu lassen.
»Wenn du gehört hast, wie ich mit dem Alten gesprochen hab, dann hast du auch das mit heute abend kapiert?«
»Yes.«
»Kannst du’s mir garantieren?«
»Das muß sich auszahlen …«
Sie arbeiteten schweigend weiter, der eine über seine Kaninchen gebeugt, der andere über seine Lammrippen.
»Meine Maschine …«
»Ja?«
»Die leih ich dir am Sonntag.«
»Die neue?«
»Ja.«
»He«, pfiff der andere, »er mag seine Omi. Okay. Bin dabei.«
Franck hatte einen bitteren Zug um den Mund.
»Danke.«
»He?«
»Was ist?«
»Wo ist denn die Alte?«
»In Tours.«
»Dann brauchst du dein Bike doch am Sonntag, wenn du zu ihr willst?«
»Ich kann mich anders behelfen.«
Die Stimme des Chefs fuhr dazwischen:
»Ruhe, die Herren! Ruhe, bitte!«
Guillaume schärfte sein Messer und nutzte das Geräusch, um zu murmeln:
»Okay … Du kannst sie mir leihen, wenn die Alte wieder gesund ist.«
»Danke.«
»Sag das nicht. Ich werde dir dafür die Stelle stibitzen.«
Franck Lestafier schüttelte lächelnd den Kopf.
Er sprach kein Wort mehr. Die Schicht kam ihm länger vor als sonst. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, er brüllte, wenn der Chef die Bons hereinschickte, und achtete darauf, daß er sich nicht verbrannte. Um ein Haar hätte er ein Rippenstück versaut und schimpfte ununterbrochen leise vor sich hin. Er dachte daran, wie beschissen sein Leben ein paar Wochen lang sein würde. Es war schon nicht ohne, an sie zu denken und sie zu besuchen, wenn sie gesund war, aber jetzt. Was für ein Schlamassel, verflucht. Das hatte gerade noch gefehlt. Er hatte sich eben erst ein sündhaft teures Motorrad gegönnt, mit einem endlos langen Kredit, und sich für zahlreiche Extraschichten verpflichtet, um die Raten zahlen zu können. Wo sollte er sie in alledem noch unterbringen? Na ja … Er wollte es sich nicht eingestehen, aber er freute sich auch über den glücklichen Zufall. Der dicke Titi hatte seine Maschine frisiert, und er würde sie auf der Autobahn ausprobieren können.
Wenn alles gutging, würde er seinen Spaß haben und wäre in gut einer Stunde da. Er blieb während der Pause also allein mit den Tellerwäschern in der Küche. Rührte seinen Fond, machte eine Bestandsaufnahme seiner Waren, numerierte die Fleischstücke durch und hinterließ Guillaume eine lange Nachricht. Er hatte nicht die Zeit, noch einmal zu Hause vorbeizuschauen, er duschte in der Umkleide, suchte nach etwas, um sein Visier zu reinigen, und zog konfus davon.
Glücklich und sorgenvoll zugleich.
6
Es
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