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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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Du hast sowieso keine Wahl.«
     
    Sie schloß die Tür hinter sich, räumte ihr Puppengeschirr weg und fand unten in der Tasche einen dicken Katalog von Sennelier Künstlerbedarf. Dein Konto ist immer verfügbar  … stand auf einem Post-it. Sie hatte nicht die Kraft, darin zu blättern, und trank die Flasche aus.
     
    Sie hatte ihm gehorcht. Sie arbeitete.
    Heute wischte sie die Scheiße der anderen weg, was ihr sehr zusagte.
     
    Man kam vor lauter Hitze tatsächlich um. Super Josy hatte sie am Abend zuvor gewarnt: »Beschwert euch nicht, Mädels, wir erleben gerade unsere letzten schönen Tage, bald kommt der Winter, und wir werden uns den Hintern abfrieren! Also beschwert euch ja nicht!«
    Sie hatte ausnahmsweise einmal recht. Es war Ende September, und die Tage wurden zusehends kürzer. Camille überlegte, daß sie sich dieses Jahr anders organisieren mußte, früher zu Bett gehen und am Nachmittag aufstehen, um die Sonne zu sehen. Sie war selbst von solch einem Gedanken überrascht und hörte mit einer gewissen Unbekümmertheit den Anrufbeantworter ab:
     
    »Hier ist deine Mama. Das heißt …« kicherte die Stimme, »ich weiß nicht, ob du dir darüber im klaren bist, von wem die Rede ist. Deine Mama, weißt du? Das ist das Wort, das liebe Kinder aussprechen, wenn sie sich an ihre Erzeugerin wenden, glaube ich. Denn du hast eine Mutter, Camille, erinnerst du dich? Entschuldige, daß ich schlechte Erinnerungen in dir wachrufe, aber da es nun schon die dritte Nachricht ist, die ich dir seit Dienstag hinterlasse. Ich wollte nur wissen, ob wir immer noch zusammen ess…«
     
    Camille würgte sie ab und stellte den Joghurt, den sie gerade angebrochen hatte, in den Kühlschrank zurück. Sie setzte sich im Schneidersitz hin, griff nach ihrem Tabak und versuchte, eine Zigarette zu drehen. Ihre Hände verrieten sie. Sie mußte mehrmals ansetzen, um das Papier nicht zu zerreißen. Konzentrierte sich auf ihre Bewegungen, als gäbe es auf der Welt nichts Wichtigeres, und biß sich die Lippen blutig. Es war zu ungerecht. Zu ungerecht, daß sie so litt, wegen eines Fetzen Papiers, wo sie fast einen normalen Tag hinter sich gebracht hatte. Sie hatte gesprochen, zugehört, gelacht, sich sogar gesellig gezeigt. Sie hatte vor dem Arzt kokettiert und Mamadou ein Versprechen gegeben. Das sah nach nicht viel aus, und doch … Es war lange her, daß sie zuletzt etwas versprochen hatte. Sehr lange. Und jetzt stießen ein paar Sätze aus einer Maschine sie vor den Kopf, zogen sie herunter und zwangen sie, sich hinzulegen, erdrückt, wie sie war, vom Gewicht irrsinniger Mengen Bauschutts.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    5
     
     
     
    »Monsieur Lestafier!«
    »Ja, Chef!«
    »Telefon …«
    »Nein, Chef!«
    »Was, nein?«
    »Bin beschäftigt, Chef! Soll später noch mal anrufen.«
    Der gute Mann schüttelte den Kopf und kehrte in das Kabäuschen zurück, das ihm hinter der Durchreiche als Büro diente.
     
    »Lestafier!«
    »Ja, Chef!«
    »Es ist Ihre Großmutter.«
    Kichern in der Versammlung.
    »Sagen Sie ihr, daß ich zurückrufe«, wiederholte der junge Mann, der ein Stück Fleisch entbeinte.
    »Nerven Sie nicht, Lestafier! Gehen Sie jetzt ans Telefon, verflucht noch mal! Ich bin hier doch nicht das Fräulein von der Post!«
     
    Der junge Mann wischte sich die Hände an dem Geschirrtuch ab, das an seiner Schürze hing, fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn und sagte zu dem Jungen am Schneidebrett neben ihm, wobei er tat, als wollte er ihn abstechen:
    »Du rührst hier nichts an, sonst … krrrr …«
    »Schon gut«, meinte der andere, »geh deine Weihnachtsgeschenke bestellen, Omi wartet schon.«
    »Blödmann.«
     
    Er ging ins Büro und nahm seufzend den Hörer auf:
    »Omi?«
    »Franck, guten Tag. Es ist nicht deine Großmutter, Madame Carminot am Apparat.«
    »Madame Carminot?«
    »Jesses! War das schwer, dich aufzutreiben. Ich habe zuerst im Grands Comptoirs angerufen und erfahren, daß du dort nicht mehr arbeitest, dann habe ich …«
    »Was ist los?« schnitt er ihr das Wort ab.
    »Mein Gott, Paulette …«
    »Moment mal. Bleiben Sie dran.«
     
    Er stand auf, schloß die Tür, nahm den Hörer wieder auf, setzte sich, nickte, ganz blaß, suchte auf dem Schreibtisch nach etwas zum Schreiben, sagte noch ein paar Worte und legte auf. Er nahm seine Kochmütze ab, legte den Kopf in die Hände, schloß die Augen und verharrte einige Minuten in dieser Stellung. Der Chef betrachtete ihn durch die

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