Zusammen ist man weniger allein
seiner Freundin getrennt hatte und wie die Frau hieß, die er im Visier hatte, von seinen Fortschritten in der Küche, seiner Müdigkeit. Er imitierte seinen neuen Mitbewohner und hörte seine Großmutter leise lachen.
»Du übertreibst.«
»Überhaupt nicht, ich schwör’s! Du wirst ihn kennenlernen, wenn du uns besuchen kommst, und dann wirst du sehen.«
»Ich habe überhaupt keine Lust, nach Paris zu fahren.«
»Dann kommen wir halt zu dir, und du kochst uns was Gutes!«
»Meinst du?«
»Ja. Du machst ihm deinen Kartoffelkuchen.«
»Nicht doch, das nicht … Das ist viel zu deftig.«
Anschließend erzählte er ihr von der Stimmung im Restaurant, den Rüffeln seines Chefs, dem Tag, an dem ein Minister in die Küche kam, um sie zu beglückwünschen, von der Geschicklichkeit des kleinen Takumi und vom Trüffelpreis. Er erzählte ihr, was es Neues von Momo und Madame Mandel gab. Schließlich schwieg er, um ihren Atemzügen zu lauschen, und merkte, daß sie eingeschlafen war. Er stand ganz leise auf.
Als er gerade aus der Tür gehen wollte, rief sie ihn zurück:
»Franck?«
»Ja?«
»Ich habe deiner Mutter nichts gesagt, weißt du?«
»Gut so.«
»Ich …«
»Psst, du mußt jetzt schlafen, je mehr du schläfst, um so schneller bist du wieder auf den Beinen.«
»War das richtig?«
Er nickte und legte den Finger auf den Mund.
»Ja. Mach dir keine Sorgen, schlaf jetzt.«
Das grelle Neonlicht traf ihn mit voller Wucht, und er brauchte ewig, um den Weg nach draußen zu finden. Die Krankenschwester von vorhin erwischte ihn im Flur.
Sie deutete auf einen Stuhl und schlug die entsprechende Akte auf. Dann stellte sie ihm zunächst ein paar praktische und verwaltungstechnische Fragen, aber der junge Mann reagierte nicht.
»Alles in Ordnung?«
»Müde.«
»Haben Sie noch nichts gegessen?«
»Nein, ich …«
»Warten Sie. Wir haben alles hier.«
Sie holte eine Dose Ölsardinen und ein Päckchen Zwieback aus der Schublade.
»Ist das okay?«
»Und Sie?«
»Kein Problem! Sie sehen ja! Ich habe unzählige Kekse! Einen Schluck Wein dazu?«
»Nein, danke. Ich hole mir eine Cola aus dem Automaten.«
»Nur zu, ich genehmige mir ein Gläschen, um Ihnen Gesellschaft zu leisten, aber nichts verraten, ja?«
Er aß ein wenig, antwortete auf ihre Fragen und sammelte seine Sachen wieder zusammen.
»Sie sagt, sie hat Schmerzen.«
»Morgen wird es ihr bessergehen. Wir haben der Infusion entzündungshemmende Mittel beigegeben, beim Aufwachen wird sie wieder bei Kräften sein.«
»Danke.«
»Das ist mein Job.«
»Ich meine die Sardinen.«
Er fuhr schnell, ließ sich ins Bett fallen und vergrub sein Gesicht im Kopfkissen, um nicht loszuheulen. Nicht jetzt. Er hatte so lange durchgehalten. Er konnte noch ein wenig kämpfen.
7
»Kaffee?«
»Nein, eine Cola, bitte.«
Camille trank sie in kleinen Schlucken. Sie hatte sich dem Restaurant gegenüber, in dem sie mit ihrer Mutter verabredet war, in ein Café gesetzt. Sie hatte die Hände neben dem Glas auf den Tisch gelegt, die Augen geschlossen und atmete langsam. Diese Essensverabredungen, so selten sie auch waren, zerfetzten ihr stets die Eingeweide. Sie kam zusammengefaltet, taumelnd und wie lebendig gehäutet wieder heraus. Als wäre ihre Mutter darum bemüht, mit sadistischer und möglicherweise – wirklich? – unbewußter Akribie den Schorf aufzukratzen und tausend kleine Wunden eine nach der anderen wieder freizulegen. Camille erblickte sie im Spiegel hinter den Flaschen, als sie durch die Tür des Jadeparadieses trat. Sie rauchte eine Zigarette, ging nach unten auf die Toilette, bezahlte die Rechnung und überquerte die Straße. Die Hände in den Taschen, die Taschen vor dem Bauch zusammengeschoben.
Sie sah die gebeugte Gestalt, setzte sich ihr gegenüber und atmete tief durch:
»Hallo, Mama!«
»Umarmst du mich nicht?« sagte die Stimme.
»Hallo, Mama«, artikulierte sie etwas langsamer.
»Wie geht’s?«
»Warum fragst du mich das?«
Camille hielt sich an der Tischkante fest, um nicht sofort wieder aufzustehen.
»Ich frage dich das, weil man sich das üblicherweise fragt, wenn man sich trifft.«
»Ich bin aber nicht ›man‹.«
»Was bist du dann?«
»Ich bitte dich, fang nicht wieder an, okay?«
Camille wandte sich ab und betrachtete die scheußliche Einrichtung aus Stuck und pseudoasiatischen Basreliefs. Die Schildpatt-
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