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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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vorsichtig in der Hand und aß leise. Sie versteckte Dinge in ihrem Nachttisch, Brot, Käse und ein paar Früchte, die sie ihm geben wollte, wenn er wieder aufwachte. Anschließend schob sie das Tablett vorsichtig weg und verschränkte lächelnd die Hände vor dem Bauch.
     
    Sie schloß die Augen und döste ein wenig vor sich hin, eingelullt in die Atemzüge ihres Jungen und Erinnerungen an die Vergangenheit. Sie hatte ihn schon so viele Male verloren. So viele Male. Ihr war, als hätte sie ihr Leben damit zugebracht, ihn zu suchen. Hinversteckt oder vor dem Fernseher sitzend, dann natürlich in der Kneipe und jetzt auf kleinen Zetteln, auf die er Telefonnummern geschrieben hatte, die niemals die richtigen waren.
     
    Dabei hatte sie alles in ihrer Macht Stehende getan. Hatte ihn ernährt, umarmt, gestreichelt, beruhigt, gescholten, bestraft und getröstet, aber es hatte nichts genützt. Kaum konnte er laufen, der Kleine, nahm er Reißaus, und sobald er drei Barthaare hatte, war es vorbei. War er fort.
     
    In ihren Träumen verzog sie mitunter das Gesicht. Ihre Lippen zitterten. Zuviel Kummer, zuviel Elend und so viel Leid. Es hatte so schwere Zeiten gegeben, so schwere Zeiten … Aber nein, daran durfte sie nicht denken, außerdem wurde er wach, die Haare zerzaust, die Wange voller Striemen von den Sesselnähten:
    »Wie spät ist es?«
    »Gleich fünf.«
    »Oh Scheiße, so spät schon?«
    »Franck, warum sagst du immer Scheiße?«
    »Scheibenkleister, so spät schon?«
    »Hast du Hunger?«
    »Es geht, eher Durst. Ich dreh mal ne Runde.«
    Vorbei, dachte die alte Dame, vorbei.
    »Gehst du?«
    »Aber nein, ich geh noch nicht, Sch… Scheibenkleister!«
    »Wenn du einen rothaarigen Mann im weißen Kittel siehst, könntest du ihn fragen, wann ich hier herauskomme?«
    »Ja, ja«, sagte er und verschwand durch die Tür.
    »Ein Großer mit einer Brille und einem …«
    Er war bereits auf dem Flur.
     
    »Und?«
    »Ich hab ihn nicht gesehen.«
    »So?«
    »Komm schon, Omi«, sagte er sanft zu ihr, »du wirst doch nicht schon wieder heulen?«
    »Nein, aber ich … Ich denke an meine Katze, an meine Vögel … Und außerdem hat es die ganze Woche geregnet, und ich mache mir Sorgen um meine Gartengeräte. Da ich sie nicht weggeräumt habe, werden sie ganz bestimmt rosten.«
    »Ich fahre auf dem Rückweg vorbei und packe sie weg.«
    »Franck?«
    »Ja?«
    »Nimm mich mit.«
    »He! Nicht schon wieder. Ich kann nicht mehr.«
    Sie fing sich wieder:
    »Die Geräte …«
    »Was?«
    »Sie müßten mit Rinderfett eingerieben werden.«
    Er sah sie an und machte dicke Backen:
    »Wenn ich Zeit habe, okay? Gut. Das ist noch nicht alles, wir zwei haben noch unsere Sportstunde vor uns. Wo ist denn dein Wägelchen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Omi.«
    »Hinter der Tür.«
    »Komm schon, alte Frau, ich werde dir Vögel zeigen!«
    »Pfff, hier gibt es keine. Hier gibt’s nur Geier und Aasgeier.«
    Frank lächelte. Er mochte den bösen Humor seiner Großmutter.
     
    »Alles in Ordnung?«
    »Nein.«
    »Wo hapert’s noch?«
    »Ich habe Schmerzen.«
    »Wo?«
    »Überall.«
    »Das kann nicht sein, das stimmt nicht. Zeig mir genau die Stelle.«
    »Ich habe Schmerzen im Kopf.«
    »Das ist normal. So geht’s uns allen. Los, mach schon, zeig mir lieber deine Mitpatientinnen.«
    »Nein, kehr um. Die will ich nicht sehen, die kann ich nicht ausstehen.«
    »Der da vorne, der Alte mit dem Sakko, der ist doch nicht übel, oder?«
    »Das ist kein Sakko, Dummkopf, das ist sein Schlafanzug, und außerdem ist er stocktaub … und ein eitler Gockel.«
     
    Sie setzte einen Fuß vor den anderen und zog über ihre Mitpatienten her. Alles war in Ordnung.
     
    »Gut, ich gehe.«
    »Jetzt?«
    »Ja, jetzt. Wenn ich mich um deine Hacke kümmern soll … Stell dir vor, ich muß morgen früh raus, und ich habe niemanden, der mir das Frühstück ans Bett bringt.«
    »Rufst du mich an?«
    Er nickte.
    »Das sagst du nur, aber du tust es nie.«
    »Ich hab keine Zeit.«
    »Bloß hallo und wieder auflegen.«
    »Na gut. Übrigens, ich weiß nicht, ob ich nächste Woche kommen kann. Mein Chef geht mit uns auf Sauftour.«
    »Wohin?«
    »Ins Moulin-Rouge.«
    »Im Ernst?«
    »Aber nein, natürlich nicht! Wir fahren ins Limousin, besuchen den Typen, der uns seine Viecher verkauft.«
    »Wer kommt denn auf so was?«
    »Mein Chef. Er behauptet, das sei wichtig.«
    »Du kommst also nicht?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Franck?«
    »Ja?«
    »Der Arzt …«
    »Ich weiß, der

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