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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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des Zuhörens erlernen und sich nach außen wenden. Gelegentlich heißt es, solche Musiker verfielen in das entgegengesetzte Extrem, mit der Folge, dass ihr Ich in einem größeren Ganzen aufgehe und sich darin verliere. Doch bloße Homogenität ist kein Rezept für gemeinsames Musizieren – oder allenfalls ein sehr dummes Rezept. Musikalischer Charakter entsteht erst durch kleine Dramen der Unterordnung und der Selbstbehauptung. Vor allem in der Kammermusik ist es nötig, dass wir Individuen hören, die mit verschiedenen Stimmen sprechen – mit Stimmen, die gelegentlich auch in Konflikt miteinander geraten, etwa im Strich oder in der Farbe. Solche Unterschiede miteinander zu verweben ähnelt einem vielseitigen, reichen Gespräch.
    In der klassischen Musik arbeiten wir mit gedruckten Partituren, und es mag so aussehen, als beherrschten diese Partituren das Gespräch. Die Striche und Punkte auf der Partitur reichen jedoch nicht aus, um uns zu sagen, wie die Musik tatsächlich klingen wird. Wie der Cellist Robert Winter über die Proben für ein Beethoven-Quartett geschrieben hat, beruht der Unterschied zwischen dem Blatt und der Realisierung auf dem jeweiligen Charakter der eingesetzten Instrumente, auf den unterschiedlichen Charakteren der beteiligten Musiker und natürlich auf den Rätseln der Notation. 19 Die Spielanweisung, die regelmäßig Anlass zu größtem Kopfzerbrechen gibt, lautet espressivo – ausdrucksvoll. Wenn wir diese Anweisung in Klang umsetzen wollen, müssen wir die Absicht des Komponisten intuitiv erfassen. Gelegentlich senden einzelne Musiker Hinweise zur Spielweise eines espressivo aus, die andere Mitspieler nicht deuten können – gleichsam eine Wiederkehr des Weinens in der Wiege.
    Neben der Klärung rätselhafter Spielanweisungen versucht das in den Proben stattfindende Gespräch den Klang zu ergründen, den der Komponist im Sinn hatte, als er die Partitur schrieb. So zerlegte Schubert in seinem Oktett Melodien in Fragmente, die anfangs von allen acht Musikern gespielt werden. Es ist sehr subtil. Wenn eine Pause eintritt, muss jeder Musiker so etwas wie »Ich verlasse hier den Zug« vermitteln, ohne allzu großes Aufhebens davon zu machen. Das, so meine ich, hatte Schubert im Sinn, doch ich kann diese Annahme nur rechtfertigen, indem ich mit den anderen Musikern zusammenarbeite, wobei meine Klänge sich teils mit den ihrigen vereinigen, teils sich davon abheben. Wegen der Kluft zwischen Partitur und Klang forderte mein Dirigentenlehrer, der große Pierre Monteux, die Studenten auf: »Lest nicht! Hört!« Genau das muss während der Proben geschehen.
    Beim Musizieren gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Proben und Üben. Das Üben ist eine einsame Erfahrung, das Proben eine kollektive. Gemeinsam ist beidem, dass man zunächst die gesamte Partitur ins Auge fasst und sich dann auf einzelne Passagen konzentriert. Einer der Unterschiede liegt darin, dass beim Proben die Eigenheiten der musikalischen Umsetzung in ein gemeinsames Bewusstsein gerückt werden. Wenn ein Musiker alleine übt, geht er seinen Part immer wieder durch, so dass diese Passagen zu eingeschliffenen Routinen werden. Das ist besonders wichtig, wenn der Musiker seinen Part öffentlich darbieten soll – nur sehr wenige Künstler wie der Geiger Fritz Kreisler oder Pierre Monteux kennen eine Partitur nach einigen wenigen Durchgängen auswendig. Bei allen anderen besteht die Gefahr, dass sie aus dem Blick verlieren, wie eingeschliffene Passagen für andere klingen. Beim Proben können die Musiker sich gegenseitig zu diesem Bewusstsein verhelfen.
    Wenn Kinder über Spielregeln diskutieren, müssen sie sich einigen, um miteinander spielen zu können. Bei Musikern ist das ein wenig anders. Als ich einmal mit dem Klarinettisten Alan Rusbridger das Schubert-Oktett probte, sagte er zu mir: »Professor« (da er als Journalist arbeitet, ist diese Anrede nicht unbedingt ein Kompliment), »Ihr hoher Ton klingt ein wenig scharf.« Als ich allein übte, hatte ich nicht darüber nachgedacht, wie er für ihn klingen mochte, und er machte mich darauf aufmerksam. Dennoch dämpfte ich den Ton nicht. Ich überlegte, ob er scharf klingen sollte, gelangte zu der Auffassung, dass es so richtig sei, und verstärkte die Wirkung sogar noch. Unser Meinungsaustausch führte bei mir zu einer bewussteren Wertschätzung des von ihm beanstandeten Tons. Es war wie bei einer guten Diskussion, die durch Meinungsverschiedenheiten bereichert wird,

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