Zwanghafte Gier
die Fernsehsendungen, in denen es darum geht, wie man sich ein neues Aussehen verschaffen kann, haben ihr noch nie gefallen. Für Frankie sehen die Opfer besser aus, ehe die so genannten Experten sich einmischen.
Frankie braucht niemandes Hilfe. Sie hat schon immer gewusst, wie sie sich kleiden und frisieren muss, um schick zu sein. Selbst Bo hat ihr bisweilen Komplimente gemacht, und das war ein beachtlicher Erfolg.
»Du siehst gut aus, Babe«, hatte er dann und wann gesagt, wenn sie sich besondere Mühe gegeben hatte, und manchmal sogar – ein verdammtes Wunder –, wenn sie gar nichts getan hatte.
Doch dann, nach Bo, nach ihrem Problem, nachdem sie alles aufgegeben hatte, hatte Frankie sich nicht mehr um ihr Aussehen gekümmert, und ihr farbloses Äußeres war einer der Gründe gewesen, warum ihre Kunden sie so gemocht hatten. Sie war nur die Putzfrau, ein nichtexistentes Wesen, weshalb – so erkannte sie bald – es ihr auch nicht schwer fallen würde, eine neue Frau zu werden, die niemand als die schlichte Frankie Barnes von früher wiedererkennen würde.
Nicht dass jemand vorbeikommen würde, der sich erinnern könnte – eigentlich überhaupt niemand, wenn man es genau bedenkt. Selbst als Roz noch gelebt hatte, hatte nur selten jemand an der Tür geklingelt, nur ganz zu Anfang der Milchmann oder ein Lieferant von Deveson’s mit Obst und Gemüse. Irgendwann hatte Frankie Roz dann davon überzeugt, dass diese Lieferungen doch unnötig seien; schließlich könne sie alles von Waitrose und M&S mitbringen, wenn sie auf »große Einkaufstour« in der Western Road in Brighton ging.
»Ich habe nie daran gedacht, dass Sie meine Einkäufe für mich erledigen sollen«, hatte Roz zunächst gesagt.
»Es macht mir nichts aus«, hatte Frankie erwidert. »Das tue ich gern.«
Und das war sogar die Wahrheit. Sie tat es wirklich gern, solange sie früh genug gehen konnte, bevor es von Müttern und ihren infektiösen Kindern nur so wimmelte. Außerdem parkte sie den Fiesta immer ein Stück entfernt auf dem Churchill Square, um weiterhin so anonym wie möglich zu bleiben. Sie bemühte sich, die High Street von Rottingdean zu vermeiden, es sei denn, es war lebenswichtig, doch das war es nie.
Jedenfalls klingelte von nun an nur noch der Postbote, und das auch nur, wenn er ein Paket oder Päckchen hatte, das nicht in den Briefkasten passte. Natürlich kam gelegentlich ein Ableser von den Stromoder Gaswerken, aber das war’s auch schon – außer einmal, als Mrs Osborne von weiter unten gekommen war. Sie hatte versehentlich einen von Roz’ Briefen geöffnet und wollte den Irrtum erklären, anstatt den Umschlag zuzukleben und in den Briefkasten zu werfen. Frankie war zu diesem Zeitpunkt gerade beim Staubsaugen; deshalb hörte sie die Türklingel nicht. Also öffnete Roz die Tür, und Frankie bemerkte das nicht. Mit dem Dyson in der Hand kam sie in den Flur, und Mrs Osborne sah sie hinter Roz; aber sie sorgte sich nicht sonderlich deswegen, denn sie sah Mrs Osbornes Gesicht: Sie war sehr stark geschminkt – Maskara, Puder, alles –, als wolle sie gerade irgendwo hingehen und nicht nur einen Brief abgeben. Sie war in Eile, und Frankie interessierte sie nicht im Mindesten. Vermutlich wäre sie allenfalls ein wenig neugierig geworden, wenn ihre eigene Putzfrau gekündigt hätte.
Jetzt hat Frankie jedenfalls genug Zeit und Platz, um sich wieder schick zu machen, wie sie es früher immer getan hatte. Nur besser, viel besser, weil sie jetzt das Geld hat, das Roz nicht mehr braucht.
Die arme Roz.
Vier Fuß unter dem Wintergarten in ihrem teuren Sarg.
Denk nicht daran.
Frankie mag nicht daran denken, wirklich nicht.
Manchmal hat sie sich gezwungen, nicht darüber nachzudenken, was sie getan hat, sondern warum sie es getan hat. Sie ist nicht erpicht darauf, von sich selbst als einem schlechten Menschen zu denken. Und auch wenn sie bisweilen dazu gezwungen gewesen war, ihre psychischen Probleme zu akzeptieren, so betrachtet sie sich selbst nicht als verrückt.
Manchmal schreiben sie von »schlechten« oder »verrückten« Menschen in den Zeitungen.
Wenn Frankie es sich aussuchen könnte, würde sie vermutlich »schlecht« nehmen.
Es war nicht wirklich Eifersucht gewesen, was sie zu ihrer Tat bewogen hat, nicht einmal Zorn. Sie hat eher das Gefühl, dass eine unterschwellige, lange schwelende Verärgerung der Grund dafür gewesen war: Zorn über die Ungerechtigkeit, dass Menschen wie Roz Bailey, auch wenn sie eigentlich
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