Zwanghafte Gier
einmal putzen.
Alles, was er berührt hat. Alles.
Mehrmals.
Es verschafft ihr kein Vergnügen, nur Verzweiflung.
Und das macht sie wütend.
Was sie noch gründlicher putzen lässt.
Dieser schmutzige, kriecherische Mann.
Schmutzig.
Und jetzt schwitzt sie auch noch, und das bedeutet, dass sie wird duschen müssen.
Und noch einmal.
Und noch einmal.
Sie ist auch sehr wütend wegen der Rohre, wegen der Verstopfung.
Wütend auf Roz, weil sie es so weit hat kommen lassen.
Frankie geht in den Wintergarten, schiebt Sessel und Teppich beiseite und öffnet die Falltür – oh, wie sie es hasst , diese Tür zu öffnen. Frankie hat sich so sehr bemüht, sie zu vergessen; aber jetzt muss sie die Tür öffnen, um Roz zu sagen, wie wütend sie auf sie ist.
»Jetzt bin ich froh, dass du tot bist«, sagt sie zu ihr.
Bis jetzt war sie nicht froh, nun aber schon.
»Du hast es verdient, tot zu sein, weil du so verdammt sorglos warst.«
Und was jetzt? Was soll sie jetzt tun? In die verdammte Abendschule gehen und das Klempnern lernen?
Und sie schwitzt wieder, was noch eine Dusche bedeutet. Eine kalte Dusche auch noch, weil es ja kein heißes Wasser mehr gibt; aber sie muss einfach, sie muss .
Und noch eine.
Und noch eine.
17
Das Abendessen bei Quod in der North Street von Brighton am Dienstag nach ihrem Zusammentreffen in der Cafeteria verlief für Alex und Jude mit solch unerwarteter Leichtigkeit, dass es sie beide freudig überraschte.
Sie teilten sich eine Pizza Diavolo und mehr von ihrer beider Geschichte, Glückliches wie Trauriges. Und bei einem Glas Rotwein boten sie sich zunächst das »Du« an und redeten und lauschten in gleichem Maße; mal gaben, mal empfingen sie.
Sie mochten einander.
Jude hielt sich nicht lange bei seinen Tragödien auf; aber sie waren ein wichtiger Teil von ihm, und deshalb wollte er, dass Alex alles darüber erfuhr. Also erzählte er ihr von Scott und Carol und von seiner nichtexistenten Beziehung zu seinem Stiefvater. Schwerer fiel es ihm jedoch, über seine eigenen Unzulänglichkeiten zu sprechen, die ihn schlussendlich ins Jugendgefängnis gebracht hatten.
»Es ist bemerkenswert«, sagte Alex, »dass du die Haft so gut überstanden hast. Aber bist du wirklich so ... ›intakt‹, wie du wirkst? Tut mir leid, ein besseres Wort fällt mir nicht ein.«
»Ich glaube schon«, antwortete Jude. »Jedenfalls soweit ich es beurteilen kann.«
»Was uns nicht tötet, macht uns hart«, zitierte Alex und lächelte schief.
»Das habe ich auch schon gehört«, sagte Jude, »aber ich weiß nicht, von wem das stammt.«
»Nietzsche.«
»Ich bin beeindruckt«, sagte Jude.
»Das brauchst du nicht.« Alex grinste. »Das war letzte Woche eine Frage in einer Quizshow.«
»Und? Glaubst du das?«, fragte Jude. »Entspringt Kraft wirklich aus Leiden?«
»Nicht wirklich«, antwortete sie. »In einigen Fällen stimmt das vermutlich, aber generell würde ich sagen, dass die meisten Menschen auch ohne Leiden ganz gut zurechtkommen.«
»Menschen wie Earl meinst du«, sagte Jude.
»Und die meisten meiner anderen Patienten«, stimmte Alex ihm zu.
»Du hast auch deinen Teil erlebt«, sagte Jude leise. »Matt zu verlieren und seine Schwester durch all diese Schrecken hindurch zu unterstützen.« Er ließ den Blick durch das noch immer geschäftige Restaurant schweifen und erkannte, dass er seine Umgebung die letzte halbe Stunde über kaum wahrgenommen hatte. »Das Restaurant zu verlieren, muss hart für dich gewesen sein.«
»Das war es«, bestätigte sie. »Es hat mein Leben vollkommen verändert.«
»Hast du nie daran gedacht, es weiterzuführen?«
»Matt war das Café Jardin.«
Sie sprach diese Worte in gemessenem Tonfall; doch Alex wusste aus bitterer Erfahrung, dass die Erinnerung an diese schreckliche Zeit der Verzweiflung zwar schon seit langem tief in ihrem Unterbewusstsein vergraben war. Trotzdem konnte die Wunde jederzeit und ohne Vorwarnung wieder aufbrechen und sie wie ein Fausthieb niederstrecken.
Nun wartete sie auf genau das. Sie wartete darauf, dass die Erinnerung ihre neu gewonnene Leichtigkeit zerstörte, doch das geschah nicht.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jude.
Alex hörte die Sanftheit in seiner Stimme, schaute ihm in die Augen und sah, dass seine Freundlichkeit echt war.
Und das machte sie glücklich.
Sie bestellten Dessert – Panna cotta für sie, Tiramisu für ihn – und teilten es sich, während Jude ihr vom anderen Teil seiner Arbeit erzählte, seinem Leben als
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