Zwanghafte Gier
solch hervorragender Koch gewesen war, hatte Jude überdies Angst, sie könne auf den Gedanken kommen, er wolle mit ihm konkurrieren oder ihn gar ersetzen. Dabei stimmte keines von beidem, denn Jude wusste, dass darin keine Zukunft lag. Alex Levin und Jude Brown mussten einander so mögen, wie sie waren, ohne Beiwerk.
Als sie sich am Telefon für diesen Abend verabredet hatten, hatte sie ihm gesagt, sie freue sich darauf, seine Arbeiten zu sehen.
»Aber nur, wenn es dir wirklich nichts ausmacht, sie mir zu zeigen«, fügte sie hinzu.
»Es macht mir höchstens etwas aus«, erwiderte er, »wenn sie dir nicht gefallen.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Alex.
»Wir werden sehen«, entgegnete Jude. »Aber mach dir keine Sorgen. Du kannst mir ruhig die Wahrheit sagen. Ich werd’s schon ertragen.«
Tatsächlich konnte er sich nicht daran erinnern, dass es ihn je gekümmert hätte, wie eine Frau über seine Arbeit dachte – außer Eva Hauser natürlich, als sie und Ed darüber diskutiert hatten, ob sie zwei seiner Bilder für ihre erste Ausstellung in der E-Galerie nehmen sollten. Paula hatte seine Arbeit oft und freimütig kommentiert – egal ob er sie darum gebeten hatte oder nicht –, und Jude war es eigentlich immer egal gewesen, ob ihr ein bestimmtes Stück gefiel oder nicht, es sei denn, sie ärgerte sich über ihn und spielte die Hexe, doch das war nur selten der Fall gewesen ... andererseits hatte er nie auch nur geahnt, wie oft Paula sich in ihrer Ehe geärgert hatte.
Nun aber hatte er das Gefühl, als würde es ihm ganz und gar nicht egal sein, wie Alex Levin über seine Arbeit dachte.
Sie sagte, sie könne nicht bis nach dem Abendessen warten; dennoch akzeptierte sie ein Glas Wein.
Judes Wohnung bestand im Wesentlichen aus einem Wohnzimmer plus einer winzigen Küche und einem Bad; der Schlafbereich befand sich auf einer Plattform zwei Stufen oberhalb des Wohnbereichs, und mit Hilfe eines selbst gefertigten Baumwollwandschirms hatte Jude sich ein kleines Studio am Fenster abgetrennt.
Alex war mehrere Minuten lang sehr still, während sie die Bilder an Judes Wänden betrachtete und sich weitere anschaute, die er aus verschiedenen Regalen holte. Es waren Gemälde auf Leinwand und Zeichnungen auf Karton. Einige waren sorgfältig gerahmt und mit Passepartouts versehen.
Judes Anspannung wuchs mehr und mehr, bis er kurz vorm Platzen stand.
»Und?«, fragte er schließlich.
Sie drehte sich zu ihm um. »Wie machst du das? Sie sehen alle so ... so zart aus.«
Die Wasserfarben hatten etwas Ätherisches; die Acryllacke sahen wie feine Seidenfäden aus, und die Tuschezeichnungen wirkten, als bestünden sie aus Spinnweben.
»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Jude. »Ich will nicht zu viel analysieren.« Er hielt kurz inne. »Aber es beruhigt mich, und ich brauche es, und manchmal erregt es mich auch.«
»Das kann ich verstehen«, sagte Alex. »Glaube ich zumindest.«
Plötzlich erinnerte sie sich daran, dass Matt einmal gesagt hatte, Teig zu kneten mache ihn geil, und Zuckerwatte herzustellen erweckte manchmal den Wunsch in ihm, aus der Küche zu stürmen und sie zu lieben.
Dann schaute sie wieder auf die Gemälde und Zeichnungen.
Wieder zu Jude.
Sie sah, wie er sie anschaute, und sah eine winzige Ader in seiner Schläfe pochen, was seine Anspannung verriet und die Tatsache, dass sie ihm etwas bedeutete.
Schieb die alten Erinnerungen beiseite.
Die Lockerheit des Abends hielt an und wurde für beide zu einer Quelle der Freude. Während Musik, Stimmen und Gelächter von der Union Street und der Meeting House Lane zu ihnen hinaufstiegen, saßen sie an Judes kleinem Tisch und teilten sich seine Moussaka, weitere Geschichten und ihre Gedanken über die Nachrichten aus Politik und aller Welt. Sie taten ihre Meinungen kund und sprachen über ihre Arbeit.
Und sie liebten sich.
Alex hatte Angst gehabt, dass sie dann unwillkürlich Vergleiche mit Matt ziehen würde – denn die wenigen Male, die sie seitdem mit jemandem geschlafen hatte, hatte sie genau das getan, auch wenn ein Vergleich an sich gar nicht möglich gewesen war, da die Erfahrungen sie nicht berührt hatten, jedenfalls nicht da, wo es wichtig war.
Und sie hatte auch Angst gehabt, dass kein Mann sie mehr auf diese Art anfassen, sie nie mehr wirklich berühren würde.
Doch Jude hatte sie bereits berührt, und nun, an diesem Abend, als sie mit ihm auf seiner kleinen Schlafplattform lag, kam Matt ihr kein einziges Mal in den Sinn.
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