Zwanghafte Gier
offen.
Frankie fühlt sich wie benommen. Ihr ist übel, und in ihrem Kopf hämmert es.
»Was haben wir denn hier?«, sagt Andy Swann.
Frankie packt die Sichel und schluckt die Luft hinunter.
Sie schlägt zu.
Swann stößt einen Schrei aus, drückt die rechte Hand auf den Hals, reißt sie wieder zurück, starrt zuerst auf seine rote nasse Hand und dann zu Frankie hinauf.
Die Klinge ist an der Seite in seinen Hals eingedrungen, genau dort, wo die dicksten Adern sind. Frankies Schlag war so schnell und präzise, als hätte sie ihn schon seit Monaten geübt.
Jetzt schaut sie zu Swann hinunter, sieht den Mann aber nicht wirklich, sondern nur das Blut, und ... o Gott, da ist so viel Blut. Es sprudelt heraus, als wäre sie auf Öl gestoßen, nur dass die Flüssigkeit hier rot ist und süßlich stinkt, und ... mein Gott, so viel Blut ...
Andy Swann fällt nach vorn und macht noch ein Geräusch: Gequält und voller Entsetzen schnappt er nach Luft.
Dann verstummt er.
Aber selbst jetzt noch, da er reglos mit der Stirn über der offenen Luke liegt, unter der Roz beerdigt ist, strömt das Blut aus seinem Hals, sammelt sich in einer Lache um ihn herum und versickert zwischen den Fliesen.
Frankie steht über ihm, die Sichel noch immer in der Hand. Sie versucht, nicht zu schreien oder vor Übelkeit in Ohnmacht zu fallen oder den Verstand zu verlieren, denn das Blut ist auch auf ihr – auf ihr , auf ihr .
Während Andy Swann stirbt.
Voller Blut und Dreck, aber still.
21
Alex wusste, dass es sie gepackt hatte, oder dass es zumindest bald so weit sein würde.
Mehrmals am Tag dachte sie an Jude. Es waren angenehme Gedanken, aber trotzdem beunruhigend, da es lange her war, seit sie zum letzten Mal so empfunden hatte.
Nicht seit Matts Tod.
Seit fünf Jahren.
»Das ist lange genug«, sagte Suzy, als Alex ihr am Telefon von Jude erzählte und sie um ihre Meinung bat. »Und es sollte dir völlig egal sein, wie ich darüber denke.«
»Vermutlich hast du recht«, räumte Alex ein. »Ja, es ist mir egal.«
»Okay.« Suzy hielt kurz inne. »Ein Exknacki und Bauarbeiter.«
»Und Künstler«, fügte Alex hinzu.
»Nur dass du seine Bilder noch nie gesehen hast.«
»Noch nicht.«
»Hat er schon eine Ausstellung gehabt?«, fragte Suzy.
»Zur Zeit hat er keine«, antwortete Alex. »Früher aber schon.«
»Also kannst du seine Arbeit nicht sehen, ohne in seine Wohnung zu gehen.«
»Genau.«
»Bist du sicher, dass er nur wegen einer Spritztour gesessen hat und nicht wegen etwas Schlimmerem?«
»Das hat er zumindest gesagt.«
»Möchtest du, dass ich David bitte, ihn mal zu überprüfen?«
»Auf gar keinen Fall«, erwiderte Alex.
»Dann glaubst du ihm?«, fragte Suzy.
»Ja«, antwortete Alex.
»Dann mach’s«, sagte Suzy. »Falls er irgendwas versuchen sollte ...«
»Ja?«
»Dann mach das auch, Kindchen«, sagte Suzy.
22
Während Frankie dasteht und Swann beim Sterben zusieht, spült jener Teil ihres Verstandes, der noch funktioniert, eine Erinnerung hoch: die Erinnerung an das Bild, an das sie häufig denkt, wenn sie mal wieder völlig ausflippt. Es ist das Bild einer kahlköpfigen, seltsamen schreienden Gestalt, und Frankie glaubt, es einmal gesehen zu haben – auf einem Poster vielleicht, aber genau weiß sie es nicht. Auf jeden Fall hat sie bei diesem Bild das Gefühl, in ihren eigenen Kopf hineinzuschauen, in den hässlichsten, wirrsten und furchterregendsten Teil ihres Verstandes. Das sei ein sehr berühmtes Bild, hatte ihr einer der Seelenklempner in der Anstalt gesagt, als sie ihm davon erzählt hatte, ein Symbol der Qual. Später hatte Frankie das Bild einmal in den Nachrichten gesehen, weil jemand es gestohlen hatte, doch es ist lange her, dass Frankie zuletzt daran gedacht hat, vermutlich, weil sie ihre Zwangsneurose inzwischen besser unter Kontrolle hat. Selbst als Roz gestorben war (ja, so denkt sie jetzt darüber: Roz war »gestorben«), war es Frankie nicht so schlecht gegangen. Sie war nicht wirklich durchgedreht, sondern hatte nur geputzt und geputzt ...
Das hier ist anders.
Das hier ist sehr, sehr schlimm.
Da ist ein Schmerz, ein körperlicher Schmerz in ihrem Kopf. Solche Kopfschmerzen hat sie noch nie gehabt. Aber es sind nicht einfach nur Kopfschmerzen. Das hier ist viel schlimmer.
Dann ziehen die Schmerzen sich zurück und werden Teil des allgemeinen Schreckens.
Frankie will, muss sich die Kleider vom Leib reißen und in die Dusche rennen, um sich abzuschrubben, zu schrubben und zu
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