Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwanghafte Gier

Zwanghafte Gier

Titel: Zwanghafte Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
Vom Netzwerk:
können.
    Er lebte noch. Dank der zerbrochenen Betonblöcke in der Böschung war es ihm gelungen, wieder ans Ufer zu klettern, und irgendwie hatten seine durchnässten, zerfetzten Halbstiefel Halt auf dem rutschigen Matsch gefunden. Jude war von ganzem Herzen dankbar dafür, noch am Leben zu sein, doch er war nass und kalt und zitterte am ganzen Leib ... und sein Kopf schmerzte höllisch, wie auch seine Schulter, und er hatte nicht nur seine Lunge, sondern auch seinen Magen geleert.
    Aber es gab Schlimmeres als das, viel Schlimmeres.
    Da war das sichere Wissen, dass dort unten noch immer ein Mann im Kanal lag, Bolins Opfer. Die Strömung hatte ihn halb aus dem Plastiksack herausgeholt, aber vielleicht – und nur vielleicht angesichts des Wetters – hing er noch an dem Betonbrocken fest, wo Jude in das halb verweste Gesicht gestarrt hatte. Das wiederum hieß, dass man ihn womöglich aus dem Wasser fischen könnte, bevor die Strömung ihn ins Meer und damit in die Vergessenheit trug ... falls Jude rasch genug Hilfe bekommen würde.
    Ein nagendes Gefühl in seinem Bauch sagte ihm, dass sein Handy weg war, noch bevor er in seiner triefend nassen Jacke danach suchen konnte.
    Handy – weg.
    Taschenlampe – weg.
    Keine große Überraschung, dachte er voll unerwartetem Zorn. Das bedeutete, dass er den Weg durch die Dunkelheit zur Straße finden musste, zu seinem Honda und zurück in die Zivilisation, um Hilfe zu bekommen. Doch ohne die kleinste Lichtquelle war das nahezu unmöglich. Und selbst wenn es ihm wirklich gelingen sollte, zu seinem Auto zu kommen, ohne vorher schlappzumachen oder in den Fluss oder den Kanal zu fallen oder im Sumpf zu versinken – und selbst wenn die altmodische Telefonzelle, die er an der Parkplatzeinfahrt gesehen hatte, noch funktionierte –, würde es ihn noch viel mehr Zeit kosten, die Polizei davon zu überzeugen, dass er nicht irgendein Spinner war. Und sollten sie ihm tatsächlich glauben, würde es sicher noch viel länger dauern, bis sie Taucher und Gott weiß wen sonst noch alles zusammengerufen hatten, die sie brauchten.
    Bis dahin wäre die Leiche sicher längst verschwunden.
    Jude wusste, was er zu tun hatte.
    Er musste wieder zum Wasser zurück und eine Möglichkeit finden, den Mann herauszuholen, ohne selbst wieder in das eiskalte Wasser mit der tödlichen Strömung zu steigen.
    Er musste es zumindest versuchen.
    Und zwar jetzt .

105
    »Du hattest keine andere Wahl, Bo«, sagt Frankie. »Du musstest es tun.«
    »Danke«, sagt Bo wieder. »Aber jetzt habe ich eine Wahl, nicht wahr? Jetzt könnte ich mich verpissen und dich mit dem ganzen Kram allein lassen.«
    »Das darfst du nicht«, erwidert sie verzweifelt. »Das würdest du doch nicht tun.«
    »Ach. Und warum nicht?«, fragt Bo.
    Weil du mich liebst , denkt Frankie, wagt es aber nicht, das laut zu sagen.
    »Dank dir und dem Herrn in Plastik kann ich nicht mal meinen eigenen Wagen in der Garage parken.« Bo schüttelt den Kopf. »Womit wir bei einer weiteren Sache wären, die ich für dich tun muss – die Nummernschilder von der verdammten Karre abmontieren und sie verschwinden lassen.«
    »Tut mir leid«, sagt Frankie.
    »Es wäre verdammt noch mal leichter für mich, einfach zu gehen«, sagt er. »Gott weiß, dass du es nicht anders verdient hast, Mädchen – das und noch viel Schlimmeres.«

106
    Es gab keine Bäume direkt am Kanal, doch der Sturm hatte Jude einen dicken, langen Ast an der Böschung geschenkt, stabil genug, um sich daran festzuhalten und – so hoffte er – der reißenden Strömung zu widerstehen. Jude hatte sich gezwungen, es langsam angehen zu lassen, keine Eile, keine unnötigen Risiken. Ein Stück weiter den Kanal hinunter hatte er ein Stück Mauer entdeckt, das näher am Wasser zu sein schien.
    Ein Ziel nach dem anderen.
    Zunächst einmal musste er dieses ... Ding wiederfinden, ihn , und an Land bekommen.
    Über den nächsten Schritt konnte er sich dann immer noch den Kopf zerbrechen.
    Jude lag wieder auf dem Bauch am Uferrand und reckte sich so weit es ging übers Wasser. Er hatte noch genug Verstand in seinem gefrorenen Hirn, um zu wissen, dass er vermutlich an Unterkühlung sterben würde, sollte er noch einmal ins Wasser müssen, und dann würde nie jemand erfahren, was mit ihm passiert war, geschweige denn, wer dort unten lag.
    »Bitte«, sagte er laut in Wind und Regen hinein. »Bitte.«
    Der Ast berührte etwas.
    Etwas.
    »O Gott«, sagte Jude, und ihm wurde wieder übel.
    Nicht nur, weil er

Weitere Kostenlose Bücher