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Zwanghafte Gier

Zwanghafte Gier

Titel: Zwanghafte Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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Kuppe er nun stand – oder besser »balancierte«. Er stand knapp zwanzig Meter entfernt im hohen Gras.
    Es war nicht einfach nur ein Anstieg. Jude glaubte, dass es der Uferdamm jenes Gewässers war, das er nun schon seit einiger Zeit hörte. Vielleicht war es doch der Fluss, oder Bolins Truck stand am Ufer des Kanals, der – so erinnerte sich Jude plötzlich – durch den Park ins Meer floss. Dem Lärm nach zu urteilen, der ihm nun an die Ohren drang, schien die Strömung jedenfalls gewaltig zu sein, was auch nicht verwunderlich war: Zum einen herrschte gerade Flut, zum anderen hatte der Regen den Pegel sicherlich drastisch steigen lassen.
    Vielleicht war der Fluss nun tief genug für Bolins Zwecke.
    Die Scheinwerfer des Toyota waren noch immer angeschaltet, ebenso der Motor, und soweit Jude in seiner unbequemen Haltung sehen konnte – er hatte sich hingehockt, bereit, sich jederzeit zu Boden zu werfen, sollte Bolin in seine Richtung schauen –, stand das Fahrzeug so nahe am Wasser wie möglich.
    Die Fahrertür öffnete sich; die Innenbeleuchtung ging an, und Jude erstarrte, als Bolin bedächtig ausstieg und zur Ladefläche ging. Vorsichtig schritt er über die rutschige Masse aus Schlamm und Gras. Plötzlich wurde die Gestalt des Mannes von einem weiteren Blitz erhellt; der Wind wehte ihm das Haar zu einem dunklen Heiligenschein zurück, und Jude hielt den Atem an, weil diese Blitze durchaus zu seinem Feind werden konnten, sollte Bolin in solch einem Moment die steile, aber nicht sonderlich hohe Uferböschung hinunterschauen.
    Sollte das geschehen, hätte Jude keine Möglichkeit mehr, sich herauszureden.
    Jude war angespannt, doch er bereute nichts. Dazu war er viel zu fasziniert und viel zu gespannt zu erfahren, was Bolin denn nun vorhatte.
    Das Gewitter erhellte erneut den Toyota und den anderen Mann, als dieser auf die Ladefläche griff und ein menschengroßes, in schwarzes Plastik gewickeltes Bündel herunterwuchtete.
    Geh näher ran.
    Jude kroch ein paar Meter nach rechts, verharrte und ließ seinen Blick auf der Suche nach einem besseren Aussichtspunkt über die Böschung schweifen. Als wieder ein Blitz über den Himmel zuckte, sah er eine Kuhle im hohen Gras gut zehn, fünfzehn Meter entfernt.
    Das war weit genug weg, um sicher zu sein, hoffte er und schlich hinüber.
    Die Kuhle war tief genug, dass Jude sich flach auf den Bauch legen und alles beobachten konnte. Im Licht der Autoscheinwerfer konnte Jude genug sehen. Überdies stellte er fest, dass seine Augen sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Selbst der Regen machte ihm nichts mehr aus.
    Die Böschung erhob sich nur gut einen Meter über dem Kanal. Wäre Jude ein Spieler gewesen, er hätte darauf gewettet, dass Bolin das Meer und am besten eine der vielen Klippen an der Küste vorgezogen hätte; aber wahrscheinlich hatte das Wetter ihn gezwungen, sich einen anderen Ort zu suchen. Vielleicht war das auch der Grund dafür, warum er solche Mühen auf sich genommen hatte, hierher zu kommen. Vielleicht hatte er auch Angst gehabt, von einer Klippe geweht oder von einem Blitz bei einem Verbrechen weit sichtbar aus der Dunkelheit gerissen zu werden.
    Dann ging alles sehr schnell.
    Bolin trug seine Last vorsichtig am Truck vorbei bis zum Rand der Böschung.
    Dann kniete er sich nieder und legte sie ab.
    Sie.
    Jude sah, wie Bolin kurz hinter sich schaute, einen Blick über jede Schulter, und Jude hielt unsinnigerweise die Luft an, obwohl er im Tosen des Sturms ohnehin nicht zu hören war. Erst als Bolin sich wieder seiner Aufgabe zuwandte, atmete Jude weiter.
    Er hob das große Bündel wieder hoch ... (Jude war so sicher, wie er nur sein konnte, dass es sich tatsächlich um eine Leiche handelte, obwohl sein Verstand dies noch immer nicht akzeptieren wollte) ... und warf es in das schwarze Herz des Kanals.
    Trotz des Lärms hallte das Platschen schrecklich laut in Judes Ohren wider.
    Bolin kniete noch immer. Seine Schultern hoben und senkten sich rasch, und Jude nahm an, dass der große Mann sich mehr von der körperlichen als von der psychischen Anstrengung erholte.
    Er gönnte sich bestimmt eine kleine Auszeit, nachdem der Job erledigt war.
    Schließlich stand Bolin wieder auf und schaute in das dunkle, tobende Wasser hinunter.
    Es war keine Spur mehr zu sehen.
    Dann drehte er sich sichtlich zufrieden wieder um und trottete langsam und vorsichtig und mit gesenktem Kopf zum Toyota zurück.
    Jude wartete.
    Bis Bolin die Ladeklappe geschlossen

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