Zwanghafte Gier
vergessen«, sagte Suzy, als sie Alex’ Gesichtsausdruck sah.
»Du hast recht«, erwiderte Alex, nur dass es auf der Mailbox hieß, Judes Handy sei nicht erreichbar anstatt nur ausgeschaltet.
»Ich habe immer recht, Ally.« Die Ironie in Suzys Tonfall und Gesicht war schmerzhaft. »Besonders, was Kerle betrifft.«
111
»Ich muss auf die Toilette«, sagt Frankie zu Bo.
Es ist das dritte Mal, dass sie ihn um Hilfe bittet. Die Brühe und ein paar Tassen Tee haben ihre Blase so gefüllt, dass sie kurz vor dem Platzen steht.
»Verdammt noch mal, Weib«, sagt er. »Hast du denn nicht schon genug, worüber du dir Sorgen machen müsstest?«
»Ich bin nervös, Bo ...«, und das mit jeder Sekunde mehr, »und es macht mich ...«
»Jetzt ist es wohl ein bisschen zu spät, um nervös zu werden«, erklärt Bo. »Du Irre! Du hast zwei Menschen umgebracht, und jetzt hast du mich auch noch in dein verdammtes Boot geholt, und du hast Angst? Was ist mit mir , du dumme Kuh?«
»Bitte«, sagt Frankie. »Nicht wütend werden.«
Er macht ein verzweifeltes Geräusch, stößt die Luft durch die Nase aus und schüttelt den Kopf.
»Ich muss wirklich«, sagt sie noch einmal.
Frankie spürt, wie die Demütigung ihre Wangen rötet, und nun wünscht sie sich, sie hätte den Toilettenstuhl angenommen, den man ihr angeboten hatte, als sie nach Hause gekommen war. Der Rollstuhl passt nämlich nicht durch die Tür der Erdgeschosstoilette, sodass Bo ihr helfen muss. Und Frankie wünscht sich nun auch, sie hätte mit der Gehhilfe geübt, um nicht so sehr vom Rollstuhl abhängig zu sein.
Von Bo.
»Bitte, Bo«, sagt sie.
»Verflucht!« Bo zündet sich die sechste Selbstgedrehte an, seit er sich an den Küchentisch gesetzt hat. »Lass mir fünf Minuten Ruhe, verdammt noch mal, damit ich mir überlegen kann, was ich als Nächstes tue.«
112
Sie frühstückten.
Rührei, Toast und Honig von einer Farm, die Alex und Jude vor ein paar Wochen entdeckt haben, knapp ein, zwei Meilen außerhalb von Woodingdean.
»Fantastisch«, sagte Suzy.
»Hmmm«, pflichtete Alex ihr bei.
»So. Und was jetzt?«, fragte Suzy.
»Das hängt von dir ab«, antwortete Alex.
»Ich komme mir wie ein Jammerlappen vor«, sagte Suzy. »Aber um ehrlich zu sein, will ich im Augenblick nur schlafen.«
»Dazu hast du alles Recht«, sagte Alex.
Suzy schaute sie an.
»Was?«, fragte Alex.
»Du machst dir wirklich einen Kopf wegen Jude, nicht wahr?«
»Na ja, ›einen Kopf machen‹ würde ich es nicht nennen«, sagte Alex.
»Das tust du aber«, beharrte Suzy auf ihrer Meinung.
Alex zuckte mit den Schultern. »Ein bisschen vielleicht.«
»Dann schlage ich vor«, sagte Suzy, »dass du ihn suchen gehst, während ich schlafe.«
»Ich werde dich nicht allein lassen, wo du gerade aus dem Krankenhaus gekommen bist.«
»Ich will schlafen, Dummerchen«, erwiderte Suzy. »Aber wenn ich weiß, dass du da sitzt, an den Fingernägeln kaust und darauf wartest, dass ich wieder aufwache, kann ich mich nicht ausruhen.«
»Ich kaue nicht an den Fingernägeln«, sagte Alex.
»Gib mir wenigstens eine Chance, Ally«, sagte Suzy.
Sie wartete, bis Suzy tief und fest im Gästezimmer schlief, das Telefon neben dem Bett. Dann ging Alex leise hinaus, stieg in den Mini und fuhr nach Hove zu der Baustelle, auf der Jude arbeitete. Sie war menschenleer, wie es an einem Sonntag auch sein sollte. Anschließend fuhr sie zu den Lanes. Alex sah, dass der Honda nicht auf seinem üblichen Parkplatz stand. Sie stellte ihren eigenen Wagen auf einer gelben Doppellinie ab und eilte zu Judes Wohnung.
Zuerst klingelte sie. So machten sie es beide: Auch Jude klingelte jedes Mal am Melton Cottage, wenn er wusste, dass Alex zu Hause war, obwohl er einen Schlüssel hatte.
»Das sind schlicht und einfach gute Manieren«, hatte er beim ersten Mal zu Alex gesagt.
Als niemand auf ihr Klingeln reagierte, ließ Alex sich selbst ins Haus, ging nach oben zur Wohnung und schloss auf.
»Jude?«, rief sie und schloss die Tür hinter sich.
Die Botschaft hätte nicht klarer sein können, selbst wenn er eine Nachricht hinterlassen hätte. Die Jalousien, die er manchmal herunterließ, waren noch immer für die Nacht geschlossen. Das Hochbett war zerwühlt, und auf dem Boden daneben lagen graue Shorts. Die untypische Unordnung deutete auf einen eiligen und vermutlich unerwarteten Aufbruch hin.
Und die Leinwand im Studiobereich. Er hatte gerade erst mit dem Bild angefangen, doch das Thema der Holzkohleskizze war
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