Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer
Conseil standen auf, um sich zurück zu ziehen.
»Bleiben Sie, meine Freunde, sagte ich, indem ich sie zurückhielt. Bleiben wir beisammen, bis wir aus der Sackgasse wieder heraus sind.
– Wie es meinem Herrn beliebt«, erwiderte Conseil.
Es verflossen wieder einige Stunden. Ich sah häufig auf die an der Wand des Salons hängenden Instrumente. Das Manometer zeigte, daß der Nautilus sich standhaft in einer Tiefe von dreihundert Meter hielt; der Compaß, daß er immer südwärts fuhr; das Log, daß er zwanzig Meilen in der Stunde fuhr, was in einem so engen Raum etwas Außerordentliches war. Aber der Kapitän Nemo wußte, daß er nicht genug eilen konnte, und daß damals die Minuten Jahrhunderte galten.
Um acht Uhr fünfundzwanzig Minuten spürten wir einen abermaligen Stoß; diesmal am Hintertheil. Ich erbleichte, meine Gefährten waren zu mir getreten. Ich erfaßte Conseil’s Hand. Wir fragten uns mit Blicken, und zwar directer, als Worte unsere Gedanken ausgedrückt hätten.
In dem Augenblicke trat der Kapitän in den Salon. Ich ging auf ihn zu.
»Der Weg ist auch im Süden versperrt? fragte ich.
– Ja, mein Herr. Der Eisberg hat mit einer Wendung jeden Ausweg abgeschnitten.
– Wir sind abgesperrt?«
Sechzehntes Capitel.
Luftmangel.
Also befanden wir uns in einem Kerker, über und unter uns und ringsum undurchdringliche Eiswände. Der Canadier schlug fürchterlich mit der Faust auf den Tisch. Conseil schwieg. Ich sah dem Kapitän in’s Angesicht; seine Züge waren, wie gewöhnlich, rührungslos. Er kreuzte die Arme, sann nach. Der Nautilus war unbeweglich.
Der Kapitän ergriff das Wort:
»Meine Herren, sprach er in ruhigem Tone, in unserer jetzigen Lage giebt es zwei Arten zu sterben.«
Der unbegreifliche Mann sprach wie ein Professor der Mathematik, der einen Satz demonstrirt.
»Erstens, fuhr er fort, den Tod des Erdrückens, und zweitens den des Erstickens. Vom Hungertode rede ich nicht, denn unsere Lebensmittel reichen gewiß weiter aus, als unser Leben.
– Ein Ersticken, Kapitän, erwiderte ich, ist doch wohl nicht zu besorgen, denn unsere Behälter sind gefüllt.
– Richtig, versetzte der Kapitän Nemo, aber sie liefern nur noch für zwei Tage unseren Bedarf an Luft. Bereits sind wir sechsunddreißig Stunden unter’m Wasser, und die schwüle Atmosphäre des Nautilus bedarf der Erneuerung, binnen achtundvierzig Stunden wird unser Vorrath zu Ende sein.
– Nun, Kapitän, so müssen wir uns vor Ablauf von achtundvierzig Stunden frei machen!
– Wenigstens wollen wir einen Versuch machen, die uns umgebende Wand zu durchbrechen.
– Auf welcher Seite? fragte ich.
– Das müssen wir erst durch Sondiren erfahren. Ich will den Nautilus auf die innere Bank aufsitzen lassen, und meine Leute werden in ihren Skaphandern die Eishülle an der mindest dicken Stelle durchhauen.
– Kann man die Läden des Salons öffnen?
– Ohne Nachtheil. Wir sind nicht mehr in Bewegung.«
Der Kapitän ging hinaus. Bald gab ein Rauschen zu erkennen, daß das Wasser in die Behälter strömte. Der Nautilus senkte sich langsam und saß auf dem Eisgrunde in einer Tiefe von dreihundertundfünfzig Meter.
»Meine Freunde, sprach ich, unsere Lage ist ernst, aber ich zähle auf Ihren Muth und Ihre Energie.
– Mein Herr, erwiderte der Canadier, jetzt ist es nicht Zeit zu Beschuldigungen. Ich werde alles thun für das allgemeine Beste.
– Gut, Ned, sagte ich, und reichte dem Canadier die Hand.
– Ich verstehe, fuhr er fort, die Hacke so gut zu führen, wie die Harpune, und wenn ich nützlich sein kann, stehe ich dem Kapitän zu Diensten.
– Er wird Ihren Beistand nicht ablehnen. Kommen Sie, Ned.«
Ich führte den Canadier in die Kammer, wo die Leute des Nautilus ihre Skaphander anlegten. Ich theilte dem Kapitän Ned’s Anerbieten mit, und es wurde angenommen.
Der Canadier legte seine Meerkleidung an, und war augenblicklich zur Arbeit bereit. Jeder von ihnen trug auf dem Rücken seinen Rouquayrol-Apparat, der aus den Behältern reichlich mit reiner Luft gefüllt war.
Es war das ein ansehnliches aber nothwendiges Darlehen. Die Ruhmkorff’schen Leuchten waren nicht nöthig, weil das Wasser genug erhellt war.
Als Ned angekleidet war, begab ich mich in den Salon zurück, nahm mit Conseil Platz vor den Fenstern, deren Läden geöffnet wurden, und besah die umgebenden Schichten, worauf der Nautilus ruhte.
Gleich darauf sahen wir ein Dutzend Mann auf der Eisbank sich aufstellen, unter ihnen Ned, der durch
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