Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer
zahlreichen Löchern; zu dieser gehört nur die Familie der Lampretten.
– Die sind zu schätzen, erwiderte Ned-Land.
– Bei der zweiten ist der Unterkiefer beweglich. Die zwei Familien dieser Ordnung sind durch Rochen und Haifisch repräsentirt.
– Wie! rief Ned, Rochen und Hai in derselben Ordnung! Da ist’s räthlich, sie nicht in denselben Behälter zu thun!
– Die dritten haben wie gewöhnlich Kiemen, welche durch eine einzige mit einem Deckel versehene Spalte sich öffnen. Ein Muster dieser Ordnung ist der Stör.
– Ah, Freund Conseil, Sie haben das Beste bis zuletzt aufgehoben.
– Ja, wackerer Ned, erwiderte Conseil. Merken Sie aber, hiermit weiß man nichts, denn die Familien theilen sich in Gattungen, Arten, Varietäten.
– Aber, Freund Conseil, sagte der Harpunier, da sehen wir ja die Arten und Varietäten vor dem Fenster vorüberziehen!
– Ja! rief Conseil. Man sollte meinen, man wäre in einem Aquarium!
– Nein, erwiderte ich, denn das Aquarium ist ein Gefängniß, und diese Fische da sind frei, wie die Vögel in der Luft.
– Ei nun, Freund Conseil, nennen Sie sie doch bei Namen! sagte Ned-Land.
– Ich, erwiderte Conseil, verstehe mich nicht darauf! Das ist eine Sache meines Herrn!«
Und wirklich, trotz allem Classificiren war er kein Naturkundiger, und wußte wohl nicht einen Thunfisch von einem Bonit zu unterscheiden. Gerade im Gegentheil verstand der Canadier diese Fische alle zu benennen.
Ned und Conseil zusammen hätten einen ausgezeichneten Naturkundigen abgegeben.
»Ein chinesischer Hornfisch!« rief Ned-Land, und irrte nicht.
Ein Trupp Hornfische, mit plattem Körper, und einem Stachel auf dem Rücken, trieben sich munter um den Nautilus herum und bewegten die vier Reihen Stacheln, welche auf beiden Seiten ihres Schwanzes wie Borsten starren. Ihre Haut ist wunderschön, oben grau, unten weiß mit goldenen Flecken, die in den düsteren Wellen glänzten. Zwischen ihnen schwammen Rochen, und unter denselben bemerkte ich sehr erfreut den chinesischen Rochen, oben gelblich, unten am Bauch zart rosa, und hinter dem Auge mit drei Stacheln.
Zwei Stunden lang gab ein ganzes Heer von Wasserthieren dem Nautilus das Geleite. Mitten in ihrem Spiel, ihren Sprüngen, wie sie um die Wette an Schönheit, Glanz und Schnelligkeit sich hervorthaten, zeigten sie sich unseren Blicken in reizender Mannigfaltigkeit. Unsere Bewunderung hielt sich unausgesetzt auf ihrem Höhepunkt. Ned wußte sie zu benennen, Conseil zu classificiren, ich entzückte mich an ihren schönen Formen und lustigen Bewegungen. Diese Thiere lebend, frei in ihrem natürlichen Elemente zu schauen, war ein Genuß, der mir noch nie geworden war. Ich will alle die mannigfaltigen Gattungen nicht aufzählen, die, angelockt wohl vom elektrischen Licht, zahlreicher als die Vögel der Luft um uns her schwammen.
Plötzlich ward’s wieder hell im Salon. Die eisernen Tafeln schoben sich wieder vor. Das bezaubernde Schauspiel hörte auf. Aber ich war noch lange wie im Traum, bis meine Blicke auf die an den Wänden hängenden Instrumente fielen. Die Magnetnadel wies stets nach Nord-Nord-Ost, der Manometer zeigte einen Druck von fünf Atmosphären, was eine Tiefe von fünfzig Meter bedeutete, und das elektrische Log gab eine Schnelligkeit von fünfzehn Meilen die Stunde an.
Ich erwartete den Kapitän Nemo, aber er erschien nicht. Es war fünf Uhr. Ned-Land und Conseil begaben sich wieder in ihre Cabine, ich in mein Zimmer, wo ich mein Mahl aufgetragen fand. Es bestand aus einer Suppe von Caretschildkröte, Meerbarbe von weißem Fleisch, deren Leber besonders in köstlicher Zubereitung, und Stückchen Kaiser-Holocante, die mir schmackhafter als Salmen vorkamen.
Den Abend brachte ich mit Lesen, Schreiben und in Gedanken hin. Als der Schlaf mir kam, streckte ich mich auf mein Seegraslager, und schlummerte tief, während der Nautilus quer durch die reißende Strömung des Schwarzen Flusses fuhr.
Sonnenaufgang. (S. 123.)
Fußnoten
1 à 10,000 Quadratmeter.
Fünfzehntes Capitel.
Eine briefliche Einladung.
Am folgenden Tage, 9. November, erwachte ich spät, erst nach zwölfstündigem Schlaf. Conseil kam, wie gewöhnlich, und erkundigte sich, wie »sein Herr« geschlafen, und um seine Dienste anzubieten. Der Canadier schlief noch immer fort, als wie ein Mensch, der sein Lebtag nichts anders thut.
Ich ließ den wackern Jungen nach Belieben schwatzen, ohne ihm viel zu antworten. Die Abwesenheit des Kapitän Nemo während
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