Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer
140.)
Das geringste Geräusch pflanzte sich mit einer Raschheit fort, woran das Ohr auf der Erde nicht gewöhnt ist. In der That ist das Wasser für den Ton ein besserer Leiter, als die Luft, und er pflanzt sich darin mit vierfacher Schnelligkeit fort.
In diesem Augenblick senkte sich der Boden in starkem Abfall. Das Licht nahm eine gleichmäßige Färbung an. Wir kamen bis zu einer Tiefe von hundert Meter und hatten dann einen Druck von zehn Atmosphären zu erleiden. Aber mein Skaphanderkleid war so beschaffen, daß dieser Druck mir in keiner Weise nachtheilig war. Ich empfand nur in den Fingergelenken einige Unbehaglichkeit, und auch diese verschwand bald. Der zweistündige Spaziergang in dem ungewohnten Harnisch hatte mich nicht im Mindesten ermüdet. Das Wasser half dazu, daß die Bewegungen überraschend leicht vor sich gingen.
In der Tiefe von dreihundert Fuß waren die Sonnenstrahlen nur noch schwach wahrzunehmen. Es folgte ein röthliches Dämmerlicht. Doch sahen wir hinreichend, um unsere Richtung zu behalten, und wir brauchten noch nicht den Ruhmkorff’schen Apparat in Thätigkeit zu setzen.
In diesem Augenblick machte der Kapitän Nemo Halt. Er wartete, bis ich wieder bei ihm war, und zeigte mir mit dem Finger einige dunkle Massen, welche nicht weit von dort im Schatten hervortraten.
Das ist der Wald der Insel Crespo, dachte ich, und irrte nicht.
Siebenzehntes Capitel.
Ein unterseeischer Wald.
Endlich waren wir am Saum dieser Waldung angekommen, welche ohne Zweifel zu den schönsten der ungeheuern Besitzung des Kapitäns Nemo gehörte. Er sah sie als sein eigen an und übte über dieselbe die nämlichen Rechte, welche die ersten Menschen in den ersten Tagen der Welt hatten. Uebrigens, wer hätte ihm den Besitz dieses unterseeischen Eigenthums streitig gemacht?
Dieser Wald bestand aus großen baumartigen Pflanzen, und sobald wir unter seine umfassenden Wölbungen kamen, fiel mir sogleich eine eigenthümliche Beschaffenheit ihrer Gezweige auf, wie ich sie bisher noch nicht beobachtet hatte.
Keines von den Kräutern des Bodens, keiner von den Zweigen der Gebüsche rankte, bog sich oder wuchs in horizontaler Richtung. Sie stiegen alle aufwärts dem Meeresspiegel zu. Die dünnsten, faden-und bandartigen Pflanzen hielten sich gerade aufrecht, als seien die Stengel von Eisen. Schlingpflanzen und Meergräser nahmen beim Aufwachsen eine streng senkrechte Richtung, wie sie die Dichtigkeit des Elementes vorschrieb. Sonst unbeweglich nahmen sie, wenn ich sie mit der Hand auseinanderschob, sogleich ihre frühere Lage wieder ein.
Ich gewöhnte mich bald an diese sonderbare Neigung zum Senkrechten, so wie an das verhältnißmäßige Dunkel um uns her. Der Boden des Waldes war mit spitzen Blöcken bedeckt, welchen man nicht leicht ausweichen konnte. Die unterseeische Flora schien mir sehr vollständig zu sein, reicher sogar, als unter den arktischen und tropischen Zonen, wo die Producte aus dem Pflanzenreich minder zahlreich sind. Aber einige Minuten lang verwechselte ich unwillkürlich das Thierreich mit dem Pflanzenreich, Pflanzenthier mit Wasserpflanzen. Fauna und Flora stehen in der unterseeischen Welt dicht neben einander!
Ich machte die Beobachtung, daß alle diese Producte des Pflanzenreichs am Boden nur in einer dünnen Teigschichte hafteten. Ohne Wurzeln, ohne Zusammenhang mit dem festen Körper, Sand, Muschel-oder Kieselgeröll, welches die Unterlage bildet, begehren sie von diesem nur einen Stützpunkt, nicht die Lebensquelle. Diese Pflanzen gehen aus sich selbst hervor, und das Princip ihres Daseins liegt im Wasser, das ihnen Kraft und Nahrung gewährt. Die meisten trieben, anstatt Blätter, nur bandartige Streifen von grillenhaften Formen, umgrenzt von einer schmalen Farbenborte, die nur Rosa, Carmin, Grün, Olivenfarbig, Falb und Braun enthielt. Eine Menge dieser Seepflanzen sind ganz ohne Blüthen. »Merkwürdige Regelwidrigkeit, seltsames Element, sagt ein geistreicher Naturforscher, wo das Thierreich Blüthen treibt, das Pflanzenreich nicht!«
Unter diesen verschiedenen Gesträuchen, die so groß sind, wie die Bäume der gemäßigten Zone, und unter ihrem feuchten Schatten befanden sich massenweis wahre Gebüsche lebendiger Pflanzen, Hecken von Pflanzenthieren, und, was die Täuschung vollends beförderte – die Mückenfische flogen von Zweig zu Zweig, gleich einem Schwarm Colibris, während andere gleich einem Trupp Becassinen unter unseren Schritten aufzufliegen schienen.
Gegen ein Uhr
Weitere Kostenlose Bücher