Zwei an Einem Tag
anrührender als auch leichter zurückzunehmen ist. Aber es ist eindeutig nicht der richtige Moment, nicht, wenn neben ihr auf dem Nachtschränkchen noch das zusammengeknüllte, blutige Taschentuch liegt.
Trotzdem hat er das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Er hat einen Geistesblitz, küsst sie auf die Schulter und flüstert: »Nun, du weißt ja, was man sagt …« Er legt eine dramatische Pause ein. »Man verletzt immer die, die man liebt!«
Das ist ziemlich clever, ziemlich charmant, und mit erwartungsvoll hochgezogenen Augenbrauen wartet er darauf, dass sie versteht.
»Lass uns schlafen, ja?«, sagt sie.
Er gibt sich geschlagen, legt sich wieder hin und lauscht dem leisen Rauschen der A259. Irgendwo im Haus zerreißen sich ihre Eltern gerade das Maul über ihn, und plötzlich hat er das schreckliche Gefühl, losprusten zu müssen. Er fängt erst an zu kichern, dann zu lachen, bemüht sich krampfhaft, es zu unterdrücken, aber sein Körper fängt an zu zittern, so dass die Matratze bebt.
» Lachst du?«, murmelt Sylvie ins Kissen.
»Nein!«, sagt Dexter, und presst die Lippen zusammen, aber in seiner Magengrube braut sich schon der nächste Anfall zusammen. Irgendwann verwandelt sich selbst die schlimmste Katastrophe in eine Anekdote, und diese Geschichte hat eindeutig Potenzial. Es ist die Art von Geschichte, die er am liebsten Emma Morley erzählen möchte. Allerdings hat er keine Ahnung, wo Emma Morley steckt oder was sie treibt, seit fast zwei Jahren hat er sie nicht mehr gesehen.
Er muss sich die Geschichte einfach merken. Sie ihr eines Tages erzählen.
Wieder muss er lachen.
KAPITEL DREIZEHN
Die Welle
Donnerstag, 15. Juli 1999
Somerset
Einer nach dem anderen trudeln sie ein. Ein endloser Schwall luxuriöser wattierter Umschläge fällt auf die Fußmatte. Hochzeitseinladungen.
Dies war nicht die erste Welle von Hochzeiten. Einige Kommilitonen hatten sogar schon auf der Uni geheiratet, aber in Form von übertrieben schrägen So-tun-als-ob-Hochzeitsparodien, wie die scherzhaften »Dinnerpartys«, wo alle in Abendgarderobe aufkreuzten, um Thunfisch-Nudelauflauf zu essen. Studentische Hochzeitsfeiern waren Picknicks im örtlichen Park, zu denen die Gäste in gebrauchten Anzügen und Secondhand-Abendkleidern kamen und die gewöhnlich im Pub endeten. Auf den Hochzeitsfotos hielten Braut und Bräutigam Biergläser in die Kamera, die Braut mit einer Kippe im geschminkten Mund, und die Hochzeitsgeschenke fielen bescheiden aus: eine wirklich coole Compilation oder LP, eine gerahmte Fotomontage oder eine Packung Kerzen. Auf der Uni zu heiraten, war ein amüsanter Gag, ein harmloser Akt der Rebellion, wie ein winziges Tattoo, das keiner sieht, oder wie sich eine Glatze schneiden zu lassen.
Die zweite Welle, die Mittzwanziger-Hochzeiten, hatte immer noch etwas von dieser augenzwinkernden, hausbackenen Qualität. Die Feiern fanden in Gemeindezentren oder im Garten der Eltern statt, die Gelöbnisse waren selbstverfasst und strikt weltlich gehalten, und irgendjemand zitierte immer das Gedicht von e. e. cummings darüber, was für kleine Hände der Regen hat. Aber eine kalte, harte Professionalität hatte sich eingeschlichen. Die Idee der »Hochzeitsliste« hielt Einzug.
Irgendwann in der Zukunft wird es eine vierte Welle geben – die der zweiten Hochzeiten: bittersüße Feiern, für die man sich entschuldigen zu müssen glaubt und die wegen der Kinder schon um 21:30 Uhr vorbei sind. »Keine große Sache«, heißt es, »nur eine Ausrede zum Feiern.« Aber dies ist das Jahr der dritten Welle, und die dritte Welle erweist sich als die bislang mächtigste, spektakulärste und verheerendste. Es sind die Hochzeiten von Leuten, die Anfang bis Mitte 30 sind, und jetzt lacht keiner mehr.
Die dritte Welle ist unaufhaltsam. Jede Woche scheint einen weiteren luxuriös wattierten, cremefarbenen Umschlag zu bringen, dick wie eine Briefbombe, mit einer komplexen Einladung – ein Triumph der Papierherstellung – und einem umfassenden Dossier inklusive Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Internetseiten, Wegbeschreibungen, der Kleiderordnung und dem Hinweis, wo man die Geschenke zu kaufen hat. Landhaushotels werden ausgebucht, Schwärme von Lachs werden pochiert, riesige Festzelte sprießen über Nacht aus dem Boden wie Beduinendörfer. Seidige graue Cutaways und Zylinder werden ausgeliehen und todernst getragen, und für Floristen, Partyservices, Streichquartette, schottische Volkstanzgruppen, Eisbildhauer und Hersteller von
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