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Zwei an Einem Tag

Zwei an Einem Tag

Titel: Zwei an Einem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Nicholls
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ausgebreitet sind. Eine Pause entsteht. Die Uhr tickt, und er überlegt schon, sich eine Frauenzeitschrift zu nehmen, als: »Ich weiß was, lasst uns ›Bist du da, Moriarty?‹ spielen«, schlägt Murray vor und erntet allgemeine Zustimmung von der Familie, sogar von Sylvie.
    »Was ist denn ›Bist du da, Moriarty‹?«, fragt Dexter, und die Copes schütteln ob der Unwissenheit des Eindringlings einhellig den Kopf.
    »Es ist ein ganz tolles Gesellschaftsspiel!«, sagt Helen lebhaft und wird zum ersten Mal an diesem Abend munter. »Wir spielen es schon seit Jahren!« Sam ist bereits damit beschäftigt, den Daily Telegraph zu einer langen, festen Rute zusammenzurollen. »Im Wesentlichen geht es darum, dass eine Person mit verbundenen Augen eine Zeitung in die Hand gedrückt bekommt, sich einer anderen Person gegenüberkniet …«
    »… deren Augen auch verbunden sind.« Murray übernimmt und durchwühlt gleichzeitig einen antiken Sekretär auf der Suche nach Klebeband. »Die Person mit der aufgerollten Zeitung sagt ›Bist du da, Moriarty?‹« Er wirft Sam das Klebeband zu.
    »Und die andere Person muss sich winden und ducken und ›Ja!‹ oder ›Hier!‹ antworten.« Sam klebt die Zeitung zu einem festen Knüppel zusammen. »Und je nachdem, woher die Stimme kommt, muss man versuchen, den anderen mit der zusammengerollten Zeitung zu schlagen.«
    »Man hat drei Versuche, und wenn man dreimal danebentrifft, wird man Moriarty und muss sich vom nächsten Spieler schlagen lassen«, sagt Sylvie, begeistert von der Aussicht auf das viktorianische Gesellschaftsspiel, »und wenn du die andere Person triffst, darfst du den nächsten Spieler aussuchen. Zumindest spielen wir es so.«
    »So …«, sagt Murray und klopft sich mit dem Papierknüppel auf die Handfläche. »Wer hat Lust auf ein bisschen Extremsport?«
    Es wird beschlossen, dass Sam sich Dexter, den Eindringling, vornimmt, und – Überraschung! – Sam den Knüppel bekommt. Austragungsort ist der riesige, ausgeblichene Teppich in der Mitte des Zimmers, und Sylvie führt ihn an seinen Platz, stellt sich hinter ihn und verbindet ihm mit einer großen weißen Serviette die Augen, die Gunstbezeugung einer Prinzessin für ihren treuen Ritter. Dexter erhascht einen letzten Blick auf Sam, dessen Augen schon verbunden sind und der sich süffisant grinsend mit dem Knüppel auf die Hand klopft, und hat plötzlich das Gefühl, dass er das Spiel unbedingt gewinnen und der Familie beweisen muss, aus welchem Holz er geschnitzt ist. »Zeigs ihnen«, flüstert Sylvie, ihr heißer Atem streift sein Ohr, und er muss wieder an den Moment in der Küche und seine Hand zwischen ihren Beinen denken. Sie nimmt ihn am Ellbogen, hilft ihm, sich hinzuknien, und schweigend sitzen sich die Gegner auf dem Perserteppich gegenüber wie Gladiatoren in der Arena.
    »Lasset die Spiele beginnen!«, sagt Lionel kaiserlich.
    »Bist du da, Moriarty?«, kichert Sam.
    »Hier«, sagt Dexter und lehnt sich geschmeidig wie ein Limbotänzer zurück.
    Der erste Schlag trifft ihn mit einem satten Klatschen, das im ganzen Raum wiederhallt, direkt unterm Auge. »Oooh!« und »Autsch!«, sagen die Copes und lachen über seinen Schmerz. » Das hat wehgetan«, bemerkt Murray aufreizend, und Dexter fühlt sich tief gedemütigt, lacht aber gutmütig, ein herzliches Gut-gemacht-Lachen. »Hast mich erwischt!«, gibt er zu und reibt sich die Wange, aber Sam hat Blut gerochen und fragt schon wieder: »Bist du da, Moriarty?«
    »J…«
    Bevor er sich bewegen kann, trifft ihn der zweite Schlag am Hintern, so dass er zusammenzuckt und zur Seite fällt, wieder lacht die Familie, und Sam zischt leise »yessssss«.
    »Nicht schlecht, Sammy«, sagt die Mutter, stolz auf ihren Sohn, und Dexter verspürt plötzlich unbändigen Hass auf das beknackte Scheiß-Spiel, das anscheinend ein krankes, familiäres Demütigungsritual ist …
    »Zwei von zwei«, verkündet Murray mit schallendem Lachen. »Guter Schlag, Bruderherz.«
    … und sag nicht »Bruderherz«, du kleiner Drecksack, denkt Dexter, der jetzt vor Wut schäumt, denn wenn er eins nicht ausstehen kann, dann ist es, ausgelacht zu werden, besonders von dieser Truppe, die ihn ganz offensichtlich für einen abgewrackten Versager hält, der nicht gut genug ist für ihre kostbare Sylvie. »Ich glaube, jetzt habe ich den Bogen raus«, gluckst er und klammert sich an seinen Sinn für Humor, obwohl er Sams Gesicht am liebsten mit der Faust bearbeitet hätte – »Auf zur nächsten

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