Zwei an Einem Tag
behalten, und er hat bisher nur das Nötigste ausgepackt: Fernseher, DVD-Rekorder und Stereoanlage. Es ist, zumindest momentan noch, eine altmodische Wohnung, mit Fußbodenleisten, dem schrecklichen Bad und all den anderen kleinen Räumen, aber Sylvie beteuert, sie habe großes Potenzial, wenn man die Wände einreißt und den Fußboden abschleift. Es gibt ein großes Zimmer, in dem Jasmine übernachten kann, und sogar einen Garten. Einen Garten. Zuerst hat er gewitzelt, dass er ihn zubetonieren will, aber jetzt hat er beschlossen, sich mit Gartenarbeit zu befassen, und hat sich zu diesem Zweck ein einschlägiges Buch besorgt. Irgendwo in seinem Unterbewusstsein hat sich die Idee eines Gartenhauses festgesetzt. Demnächst spielt er wahrscheinlich Golf und trägt Pyjamas im Bett.
In der Wohnung quetscht er sich an den Umzugskartons im Flur vorbei, duscht, geht in die Küche und bestellt sich telefonisch thailändisches Essen. Im Wohnzimmer legt er sich aufs Sofa und stellt in Gedanken eine Liste der Dinge zusammen, die er erledigen muss, bevor er tun kann, was er sich vorgenommen hat.
Für einen kleinen Kreis sehr unterschiedlicher Menschen hat ein an sich harmloses Datum ein trauriges Gewicht bekommen, und deshalb muss er ein paar Telefonate tätigen. Als Erstes kommen Sue und Jim an die Reihe, Emmas Eltern in Leeds. Die Unterhaltung ist angenehm und unkompliziert, und er erzählt ihnen von seinem Café, wie Jasmine sich in der Schule macht und wiederholt die Geschichten zweimal für beide Eltern. »Ansonsten gibt es eigentlich nichts Neues«, berichtet er Sue. »Ich wollte nur sagen, du weißt schon, dass ich an euch denke und hoffe, dass es euch gut geht.«
»Das hoffen wir für dich auch, Dexter. Pass auf dich auf, ja?«, sagt sie mit zitternder Stimme und legt auf. Dexter arbeitet sich weiter durch die Liste, spricht mit seiner Schwester, seinem Vater, seiner Ex-Frau und seiner Tochter. Die Unterhaltungen sind kurz, betont unbeschwert, und niemand erwähnt die besondere Bedeutung des Tages, aber die unterschwellige Botschaft ist immer die gleiche: »Es geht mir gut.« Er ruft Tilly Killick an, aber sie ist rührselig und überemotional: »Aber wie gehts dir wirklich , Schatz? Ich meine, wirklich ? Und du bist ganz allein? Gehts dir gut , so ganz allein? Sollen wir zu dir kommen?« Genervt beschwichtigt er sie und beendet das Gespräch so schnell und höflich wie möglich. Er ruft Ian Whitehead in Taunton an, aber der bringt gerade die Kinder ins Bett, die kleinen Scheißer, und nein, es passt gerade nicht so gut. Ian verspricht, ihn nächste Woche zurückzurufen, ihn vielleicht sogar mal besuchen zu kommen, und Dexter meint, das wäre eine tolle Idee, obwohl ihm klar ist, dass es wohl nie dazu kommen wird. Wie bei allen Gesprächen wird deutlich, dass das Schlimmste überstanden ist. Dexter wird vielleicht nie wieder von Ian Whitehead hören, was aber für beide Seiten okay ist.
Er isst vor dem Fernseher, zappt sich durch sämtliche Kanäle und begnügt sich mit dem einen Bier, das er gratis zum bestellten Essen bekommen hat. Aber es ist traurig, allein zu essen, vornübergebeugt auf dem Sofa in dem fremden Haus, und zum ersten Mal an diesem Tag wird er von Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit überwältigt. Die Trauer kommt ihm heute vor, wie auf einem gefrorenen Fluss spazieren zu gehen: Meistens fühlt er sich sicher, aber es besteht immer die Gefahr einzubrechen. Jetzt hört er das Eis unter sich knirschen, und die Panik, die ihn erfasst, ist so intensiv, dass er aufspringen, sich die Hände vors Gesicht legen und tief Luft holen muss. Langsam atmet er durch seine Finger aus, rennt in die Küche und wirft das schmutzige Geschirr in die Spüle, so dass es klirrt. Plötzlich hat er das überwältigende Bedürfnis, zu trinken und immer weiter zu trinken. Stattdessen greift er zum Telefon.
»Was ist los?«, fragt Maddy besorgt.
»Nur eine kleine Panikattacke.«
»Bist du sicher, dass ich nicht rüberkommen soll?«
»Es geht mir wieder gut.«
»Ich kann mir ein Taxi rufen? Ich könnte bei dir sein in …«
»Nein, wirklich nicht. Ich möchte lieber allein sein.« Der Klang ihrer Stimme reicht aus, um ihn zu beruhigen, und er versichert ihr noch einmal, dass es ihm nicht schlecht geht, und wünscht ihr eine gute Nacht. Als er sicher ist, dass niemand mehr einen Grund hat, ihn anzurufen, stellt er das Telefon ab, schließt die Fensterläden, geht die Treppe hoch und macht sich ans Werk.
Das Gästezimmer
Weitere Kostenlose Bücher