Zwei an Einem Tag
enthält nur eine Matratze, einen offenen Koffer und sieben oder acht Pappkartons, zwei davon tragen die Aufschriften »Emma 1« und »Emma 2«, von ihr selbst mit dickem schwarzem Filzstift geschrieben. Sie enthalten Emmas restliche Habseligkeiten aus seiner Wohnung, Notizbücher, Briefe und Fotoalben, und er nimmt sie mit ins Wohnzimmer hinunter und verbringt den Abend damit, sie auszupacken und das Überflüssige – uralte Kontoauszüge, Quittungen und Imbissspeisekarten, die er in einen schwarzen Müllbeutel stopft – von den Sachen zu trennen, die er ihren Eltern schicken oder selbst behalten will.
Es nimmt einige Zeit in Anspruch, aber er geht unsentimental und pragmatisch vor und hält nur gelegentlich inne. Er vermeidet es, die Tage-und Notizbücher mit den Fragmenten von Jugendgedichten und Theaterstücken zu lesen. Es erscheint ihm unfair – er stellt sich vor, wie Emma ihm über die Schulter sieht, das Gesicht verzieht oder sie ihm aus der Hand reißen will – und konzentriert sich stattdessen auf die Briefe und Fotos.
So, wie die Kisten gepackt sind, muss er sich in umgekehrter chronologischer Reihenfolge durch die verschiedenen Schichten arbeiten, angefangen bei ihren gemeinsamen Jahren, weiter durch die 90er bis hin zu den 80ern ganz unten im zweiten Karton. Zuoberst liegen Umschlagentwürfe für die Julie-Criscoll -Romane, Briefe von ihrer Lektorin Marsha und Zeitungsausschnitte. Die nächste Schicht besteht aus Postkarten und Fotos aus Paris, einschließlich des einzig verbliebenen Schnappschusses des berühmten Jean-Pierre Dusollier, dunkel und sehr gutaussehend. In einem Umschlag mit Metrotickets, zusammengefalteten Speisekarten und einem französischen Mietvertrag stößt er auf etwas so Erstaunliches und Anrührendes, dass er es beinahe fallenlässt.
Es ist ein Polaroidfoto aus dem Sommer in Paris, Emma, die mit gekreuzten Knöcheln und lasziv nach hinten gelegten Armen nackt auf dem Bett liegt. Das Foto war an einem feuchtfröhlichen, liebestrunkenen Abend entstanden, nachdem sie sich auf einem Schwarzweißfernseher Titanic auf Französisch angesehen hatten. Obwohl er das Foto schön fand, hatte sie es ihm aus der Hand gerissen und behauptet, sie werde es vernichten. Die Tatsache, dass Emma das Foto behalten und versteckt hatte, sollte ihm gefallen, weil es vermuten lässt, dass sie das Foto mehr mochte, als sie zugab. Aber es konfrontiert ihn einmal mehr mit ihrem Verlust, und er braucht einen Moment, um das zu verarbeiten. Er steckt das Bild zurück in den Umschlag und bleibt ruhig sitzen, um sich zu sammeln. Unter ihm knirscht das Eis.
Er macht weiter. In einem Umschlag aus den späten 90ern findet er eine Ansammlung von Geburtsanzeigen, Hochzeitseinladungen, Gottesdienstprogrammheften, eine überdimensionierte Abschiedskarte von Lehrern und Schülern der Cromwell-Road-Gesamtschule und etliche Briefe von einem gewissen Phil, die so voll sexueller Obsession und flehentlichen Bitten sind, dass er sie schnell wieder zusammenfaltet und zurück in den Umschlag stopft. Es gibt Handzettel von Ians Improtheaterauftritten und langweiligen juristischen Papierkram über den Kauf der Wohnung in East17. Er findet eine Reihe hirnloser Postkarten, die er ihr während seiner Reisen Anfang der 90er geschickt hat – »Amsterdam ist IRRE«, »Dublin ROCKT«. Er erinnert sich an die Briefe, die sie ihm zurückgeschickt hat, wunderbare, kleine Geschenke aus hellblauem Luftpostpapier, die er von Zeit zu Zeit noch einmal durchliest, und schämt sich im Nachhinein, wie unreif er mit 24 war: »Venedig TOTAL ABGESOFFEN!!!!« Es gibt auch eine Fotokopie des Programmhefts von »Grausame Fracht – ein Stück für junge Leute von Emma Morley und Gary Nutkin«, und ein paar alte Seminararbeiten, Abhandlungen über Themen wie »Donnes Frauen« und »Eliot und der Faschismus«, und einen Stapel Kunstpostkarten mit winzigen Löchern von den Pinnwänden in den Studentenwohnheimen. Außerdem findet er eine Pappröhre mit Emmas fest zusammengerolltem, vermutlich seit fast zwanzig Jahren unberührtem Abschlusszeugnis. Er vergewissert sich, indem er das Datum anschaut: 14. Juli 1988. Gestern vor achtzehn Jahren.
In einem zerfledderten Album findet er die Fotos von der Abschlussfeier und blättert sie ohne große Wehmut durch. Weil Emma die Fotos gemacht hat, ist sie selbst nicht darauf zu sehen, und an die meisten anderen Studenten erinnert er sich sowieso nicht mehr; sie gehörte damals zu einer anderen Clique. Trotzdem
Weitere Kostenlose Bücher