Zwei an Einem Tag
beeindruckt ihn, wie jung die Gesichter aussehen und dass Tilly Killick es schafft, ihn selbst auf einem achtzehn Jahre alten Foto zu nerven. Ein Schnappschuss, der einen schlanken, selbstzufriedenen Callum O’Neill zeigt, wird postwendend zerrissen und landet in den Untiefen des Müllsacks.
Irgendwann muss sie Tilly die Kamera gegeben haben, denn auf einer Reihe Fotos ist sie schließlich selbst zu sehen, wie sie im Talar mit Doktorhut komisch-heroische Gesichter zieht, die Brille gelehrt auf der Nasenspitze. Er lächelt und stöhnt gleichzeitig amüsiert auf, als er ein Foto von sich findet.
In lächerlicher Modelpose steht er da, saugt die Wangen ein und schmollt, direkt daneben Emma, die ihm den Arm um den Hals legt, ihr Gesicht ganz nah an seinem, die Augen weit aufgerissen, und sich eine Hand auf die Wange hält wie ein beeindruckter Fan. Nachdem das Foto aufgenommen worden war, waren sie zur Abschluss-Teegesellschaft, danach in den Pub und schließlich zu einer Party in irgendeinem Haus gegangen. Er weiß nicht mehr, wer da gewohnt hat, nur, dass das Haus rappelvoll war und gewissermaßen dem Erdboden gleichgemacht wurde, weshalb die Partygäste auf die Straße und in den Garten ausweichen mussten. Auf der Flucht vor dem Chaos hatten sie auf dem Sofa im Wohnzimmer Zuflucht gefunden und waren den ganzen Abend dort geblieben. Da hatte er sie auch zum ersten Mal geküsst. Wieder betrachtet er das Abschlussfoto, Emma mit der dicken, schwarzen Brille, dem rotgefärbten, schlecht geschnittenen Haar, ein breites Lächeln im Gesicht, das etwas molliger ist, als er es jetzt in Erinnerung hat, die Wange an seine geschmiegt. Er legt das Foto beiseite und sieht sich das nächste an.
Der Morgen danach. Sie sitzen zusammen auf einem Hügel, Emma in Chucks und einer 501, die an der Taille etwas zu eng ist, Dexter etwas abseits im weißen Hemd und dem schwarzen Anzug vom Vortag.
Unglücklicherweise tummelten sich auf dem Gipfel von Arthur’s Seat unerwartet viele Touristen und andere Absolventen, alle noch bleich und zittrig vom Feiern. Verlegen grüßten Dex und Em ein paar Bekannte, hielten aber Abstand, um Klatsch zu vermeiden, obwohl es dafür schon zu spät war.
Gemächlich schlenderten sie über das raue, rostrote Plateau und schauten sich die Aussicht von allen Seiten an. Sie blieben vor der Steinsäule stehen, die den Gipfel markiert, und machten die in solchen Situationen obligatorischen Bemerkungen: Wie weit sie gelaufen waren und dass man von hier aus das Haus sehen konnte. Die Säule war mit eingeritzten Graffiti übersäht: Insiderwitze, »DG war hier«, »Schottland für immer«, »Thatcher raus«.
»Wir sollten unsere Initialen einritzen«, schlug Dexter schwach vor.
»Was, ›Dex und Em‹?«
»Für immer.«
Emma schnaubte skeptisch und begutachtete das auffälligste Graffiti, einen großen, mit wasserfestem Edding gemalten Penis. »Stell dir vor, hier raufzukraxeln, nur um das zu zeichnen. Glaubst du, er hat den Stift extra mitgebracht? ›Atemberaubende Landschaft und herrliche Natur schön und gut, aber was dieser Ort wirklich braucht, ist ein Megaschwanz mit Eiern.‹«
Dexter lachte automatisch, aber wieder schlich sich Unbehagen ein; einmal angekommen, erschien ihnen das Ganze wie ein Fehler, so dass sie sich unabhängig voneinander fragten, ob sie das Picknick nicht ausfallen lassen, schnurstracks hinunterklettern und nach Hause gehen sollten. Allerdings traute sich keiner von beiden, den Vorschlag zu machen, und stattdessen suchten sie sich ein Plätzchen etwas unterhalb des Gipfels, ließen sich dort in einer Mulde nieder und packten den Rucksack aus.
Dexter öffnete den warmen Sekt, der ihm lasch über die Hand sprudelte und im Heidekraut versickerte. Abwechselnd tranken sie aus der Flasche, aber keinem von beiden war nach Feiern zumute, und nach kurzem Schweigen verlegte sie sich wieder auf Bemerkungen über die Aussicht. »Sehr hübsch.«
»Hm.«
»Und kein Wölkchen weit und breit!«
»Hm?«
»Du hast doch gesagt, es wäre St.-Swithins-Tag. ›Regnets am St.-Swithins-Tag …‹«
»Genau. Kein Wölkchen weit und breit.«
Das Wetter; sie sprach über das Wetter. Peinlich berührt von der eigenen Banalität schwieg sie kurz, bevor sie es auf direktere Art versuchte. »Und, wie fühlst du dich jetzt, Dex?«
»Etwas ramponiert.«
»Nein, ich meine, wegen letzter Nacht. Wegen dir und mir.«
Er sah sie an und fragte sich, was sie von ihm erwartete. Bei Auseinandersetzungen war
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