Zwei an Einem Tag
gehts dir?«
»Ach, weißt du. Ist mir ziemlich peinlich. Ich wollte dich da nicht mit reinziehen.«
»Schon gut.«
»Ich erinnere mich, dass du und Dad mich gebadet habt.«
Sylvie lacht. »Er war völlig unbeeindruckt. ›Der Junge hat nichts, was ich nicht schon mal gesehen habe!‹«
Dexter lächelt und windet sich gleichzeitig vor Scham. »Ist mit Jasmine alles in Ordnung?«
»Ich glaub schon. Es geht ihr ganz gut. Sie wirds überleben. Ich habe ihr gesagt, du hättest eine Lebensmittelvergiftung.«
»Ich machs wieder gut, versprochen.«
»So was kommt vor. Tu das bloß nie, nie wieder, hörst du?«
Dexter gibt ein Geräusch von sich, was so viel heißt wie »Nein, na ja, wir werden sehen …« Sie schweigen. »Ich muss gehen, Sylvie. Die Suppe brennt an.«
»Dann bis Samstag, ja?«
»Bis dann. Grüß Jasmine. Und entschuldige noch mal.«
Er hört, wie sie am Hörer herumfummelt. »Wir lieben dich alle, Dexter.«
»Dazu habt ihr keinen Grund«, murmelt er verlegen.
»Nein, vielleicht nicht. Wir tun es trotzdem.«
Nach einem kurzen Moment legt er auf, setzt sich zu seinem Vater vor den Fernseher und trinkt homöopathisch verdünntes Gerstenwasser mit Zitronengeschmack. Sie essen die Suppe von speziellen Tabletts mit gepolsterter Unterseite, die man sich bequem auf den Schoß stellen kann – eine Neuerung, die Dexter etwas deprimiert, denn seine Mutter hätte etwas Derartiges nie im Haus geduldet. Die Suppe ist heiß wie Lava, brennt ihm beim Schlürfen auf der wunden Lippe, und die Weißbrotscheiben mit Butter sind beim Schmieren zu einer undefinierbaren, an Fensterkitt erinnernden Masse geworden. Merkwürdigerweise schmeckt es köstlich, die dicke Butter schmilzt in der klebrigen Suppe, und sie essen und schauen sich EastEnders an, noch so eine neue Manie seines Vaters. Als der Abspann läuft, stellt er das gepolsterte Tablett auf den Boden, schaltet den Fernseher auf stumm und sieht Dexter an.
»Und, wird das jetzt eine alljährliche Tradition, was meinst du?«
»Weiß ich noch nicht.« Eine ganze Weile herrscht Schweigen, und sein Vater wendet sich wieder dem lautlosen Fernseher zu. »Es tut mir leid«, sagt Dexter.
»Was denn?«
»Na ja, du musstest mich baden und so …«
»Ja, darauf kann ich in Zukunft gut verzichten, wenns dir nichts ausmacht.« Ohne den Ton wieder einzuschalten, zappt er durch das Programm. »Das musst du noch früh genug für mich tun.«
»Gott, ich hoffe nicht«, sagt Dexter. »Kann Cassie das nicht übernehmen?«
Sein Vater sieht ihn an und lächelt. »Ich habe absolut keine Lust auf ein ernstes Gespräch. Du?«
»Eigentlich nicht.«
»Dann lassen wirs. Sagen wir einfach, ich halte es für das Beste, wenn du dein Leben so weiterlebst, als wäre Emma noch da. Hältst du das nicht auch für das Beste?«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Nun, du wirst es versuchen müssen.« Sein Vater greift nach der Fernbedienung. »Was glaubst du, was ich in den letzten zehn Jahren gemacht habe?« Er findet die Sendung, die er gesucht hat, und sinkt tiefer in den Sessel. »Ah, The Bill . Viel besser.«
Im abendlichen Sommerlicht sitzen sie in dem Zimmer voller Familienfotos und schauen fern, und zu seiner Verlegenheit merkt Dexter, dass er wieder sehr leise weint. Unauffällig hält er sich die Hand vor die Augen, aber sein Vater hört sein Schniefen.
»Alles klar?«
»Entschuldige«, sagt Dexter.
»Liegts an meinen Kochkünsten?«
Dexter lacht und schnieft. »Immer noch der Alk, schätze ich.«
»Schon gut«, sagt sein Vater und wendet sich wieder dem Fernseher zu. »Um neun kommt Silent Witness .«
KAPITEL EINUNDZWANZIG
Arthur’s Seat
Freitag, 15. Juli 1988
Rankeillor Street, Edinburgh
Dexter duschte in dem schäbigen, schimmeligen Badezimmer und zog sich danach das Hemd von letzter Nacht an. Es roch nach Schweiß und Zigaretten, deshalb streifte er sich auch das Jackett über, um die Geruchsbelästigung in Grenzen zu halten, und drückte sich anschließend etwas Zahnpasta auf den Finger, um sich notdürftig die Zähne zu putzen.
Er setzte sich zu Emma Morley und Tilly Killick in die Küche, unter ein fettiges Riesenposter von Truffauts Jules et Jim . Jeanne Moreau stand lachend über ihnen, während sie verlegen das schwer verdauliche Frühstück zu sich nahmen: braunen Toast mit Sojaaufstrich und kieselhartes Müsli. Aufgrund des besonderen Anlasses hatte Emma den Espressokocher, der innen immer ein wenig verschimmelt aussah, gespült, und nach der
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