Zwei auf Achse
die Tür und tappte hinaus. Als er den Gang entlangblickte, sah er, wie der Schaffner eben durch die Schwingtür am Ende des Wagens verschwand. „Die Luft ist rein“, rief er Lutz zu. „Du kannst ‘rauskommen!“
Sie blieben für den Rest der Fahrt in der Nähe der Toilette und konnten den Zug in Rosenheim unbemerkt verlassen. Auf dem Bahnsteig mischten sie sich sofort unter die Reisenden und strebten mit schnellen Schritten dem Ausgang zu.
„Na“, sagte Joachim, „zufrieden mit deinem Reiseleiter?“
„Sei still“, flüsterte Lutz. „Ich hab’ immer noch so ein Gefühl, als ob mir gleich der Schaffner auf die Schulter klopft und meine Fahrkarte verlangt.“
Auf dem Bahnhofsvorplatz blieb er stehen und sagte: „Weißt du, was mir gerade einfällt? Wir gehen diesmal nicht zum Einwohnermeldeamt, sondern blättern ein Telefonbuch durch, ob da die Straße drinsteht, in der mein Vater wohnt.“
„Brauchbarer Einfall!“ stimmte Joachim zu. „Vorausgesetzt, daß dein alter Herr überhaupt ein Telefon hat. In der Bahnhofshalle ist bestimmt eine Telefonbox, komm, wir gehen die paar Schritte zurück, damit wir in der Stadt nicht so lange suchen müssen.“
„Nein, du!“ rief Lutz. „Bloß weg vom Bahnhof!“
Joachim grinste.
„Immer noch Angst vor dem bösen Schaffner? Mensch, der ist doch schon längst ‘n paar Stationen weiter und kann uns nicht mehr gefährlich werden!“
„Dennoch“, beharrte Lutz. „Vielleicht hat uns jemand anders beobachtet, der uns gar nicht aufgefallen ist. Laß uns lieber abhauen! Es wäre ärgerlich, wenn uns so kurz vor dem Ziel noch jemand zur Polizei schleifen würde.“
„Also schön“, gab Joachim nach, „machen wir mal ein bißchen auf Tourist und gucken wir uns die Stadt an. So ganz nebenbei könnten wir übrigens auch unser zweites Frühstück einnehmen. Nach den Keksen und den Lakritzen brauchte ich jetzt was Kräftiges.“
Sie verließen den Bahnhofsplatz und trotteten langsam in die Stadt hinein. Der Himmel war bewölkt, ein warmer Wind blies ihnen entgegen.
„Die meisten, die von zu Hause abhauen, stellen sich an die Autobahn und versuchen, einen Laster anzuhalten“, sagte Joachim, „Daumen ‘raus und winke winke gemacht, weißte. Und dann wundern sie sich, daß der Fahrer sie nicht nach München mitnimmt, oder wo sie sonst hinwollen, sondern beim nächsten Polizeirevier abliefert. Die sollen sich mal bei uns Nachhilfeunterricht geben lassen, wie man schnell, bequem, sicher und äußerst billig verreisen kann!“ Er grinste. „Fahr mit der Bundesbahn! Dann beginnt der Urlaub schon unterwegs!“
„Hör bloß auf!“ rief Lutz. „So eine Fahrt kannste wohl ein- oder zweimal machen, aber nicht öfter, du, sonst haste bald Nerven wie ein zerfaserter Bindfaden!“
„Im Gegenteil“, sagte Joachim. „Je öfter du das praktizierst, desto ruhiger wirste, wegen der Routine, die du entwickelst, verstehste?“
In einem Supermarkt kauften sie acht Brötchen und einen Ring gekochte Mettwurst. Sie teilten die Wurst in der Mitte, zogen die Haut ab, nahmen ein Brötchen in die Hand und bummelten kauend durch die Stadt.
„Wenn ich erwachsen bin, ziehe ich auch in den Süden“, sagte Lutz, „hier nach Rosenheim vielleicht. Merkst du, wie warm der Wind ist? Bei uns ist der Wind immer kalt. Und dann haste hier auch gleich die Berge vor der Tür, zum Schlittenfahren, Klettern und so.“
„Dafür hast du bei uns aber jede Menge Wasser“, entgegnete Joachim, „zum Paddeln und Segeln. Das macht viel mehr Spaß als Schlittenfahren. Und das Bergsteigen ist doch sowieso nur was für Bekloppte. Du kraxelst da so einen steilen Berg ‘rauf, quälst dich ab und brichst dir sämtliche Beine, nur damit du von oben ‘runtergucken und sagen kannst: Schöne Aussicht, was? Nee, du, das ist nichts für mich! Ich schaff’ mir später ‘ne schnittige Segeljacht an, streck mich auf Deck in die Sonne und laß mich gemütlich über alle sieben Meere treiben. Das ist ein schicker Sport, der strengt nicht an und hält dich gesund. Und ‘ne tolle braune Hautfarbe kriegste gratis mitgeliefert.“
„Segeln ist nur was für die Reichen“, wandte Lutz ein. „So eine Segeljacht kostet zwanzig-, dreißigtausend Mark, du, wenn nicht noch mehr!“
„Na und?“ rief Joachim. „Wer sagt dir denn, daß ich später nicht auch reich bin? Zum Reichwerden brauchste doch nur den richtigen Job, dann vermehrt sich das Geld von selbst.“
„Heute morgen wolltest du noch
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