Zwei auf Achse
ich nicht zu betteln und Reste zu essen, sondern kann hingehen und mir kaufen, auf was ich gerade Appetit habe.“
„Ja“, spottete Joachim, „und für das bißchen Vergnügen mußte den ganzen Tag schuften! Da frag’ ich mich aber, was das kleinere Übel ist, du!“
Sie aßen alles auf, was sie gekauft hatten, zum Schluß die letzten Äpfel. Danach zog Lutz seinen Notizblock aus der Tasche.
„Reinhard Birkeler wäre wohl der nächste“, sagte er, „der wohnt in Rosenheim. Das kann gar nicht weit von München sein, wenn ich die Landkarte richtig im Gedächtnis habe.“
„Wir werden sehen“, antwortete Joachim, „auf dem Hauptbahnhof ist das schnell geklärt.“
„Wollen wir uns etwa Fahrkarten kaufen?“ fragte Lutz. Joachim tippte sich an die Stirn.
„Bist du noch zu retten!“ rief er. „Wir schmeißen das Geld doch nicht zum Fenster ‘raus! Natürlich fahren wir schwarz.“
„Meinste wieder mit ‘nem Auto-Reise-Zug?“
Joachim schüttelte den Kopf.
„Ich glaub’ nicht, daß da einer hinfährt. Nein, diesmal fahren wir im Klo.“
„Wie das denn?“ wunderte sich Lutz.
„Na, Mensch, kapier doch!“ rief Joachim. „Wir steigen in ein Abteil und tun, als ob wir Fahrkarten hätten. Und wenn der Schaffner in Sicht ist, verziehen wir uns unauffällig aufs Klo.“
„Das halte ich aber für ziemlich riskant“, wandte Lutz ein. „Die Schaffner sind doch nicht doof! Die warten so lange vor dem Lokus, bis wir ‘rauskommen, und wenn’s ‘ne Stunde dauert!“
„Quatsch!“ rief Joachim. „Soviel Zeit haben die gar nicht. Die müssen doch durch den ganzen Zug und alle Fahrgäste kontrollieren. Aber wenn du Angst hast, wir könnten tatsächlich wie die Maus in der Falle sitzen, richten wir es so ein, daß die Schaffner haufenweise an unserer Toilette vorbeilatschen, ohne uns hinter der Tür zu vermuten.“
„Na, hör mal“, rief Lutz, „meinste, die haben Tomaten auf den Augen? Die sehn doch genau, daß da ,Besetzt’ an der Tür steht!“
„Klarer Fall von Irrtum“, sagte Joachim, „das steht da ja gar nicht!“
„Wieso nicht?“ fragte Lutz erstaunt.
„Na, Mensch, weil wir die Tür nicht verriegeln! Dann steht nämlich ,Frei’ draußen dran! Kapierste?“
Lutz bückte sich, weil ihm der Kamm aus der Hose gerutscht war.
„Hm“, sagte er, „keine schlechte Idee. Nur wenn einer von den Fahrgästen mal den Wunsch verspürt, sich zu erleichtern, reißt er die Tür auf und entdeckt uns.“
„Soll er doch!“ rief Joachim. „Was ist denn dabei? Wir sitzen ja nicht ausgezogen auf der Brille, wir sind doch vollständig bekleidet.“
„Ja, schon“, sagte Lutz, „aber wir sind zwei, und zu zweit geht man meines Wissens nicht aufs Klo!“
„Ach, du meine Güte!“ rief Joachim. „Das ist doch nun wirklich kein Problem! Die Toiletten in den Zügen sind so groß, daß einer von uns sich bequem links oder rechts an der Seite verstecken kann, ohne gesehen zu werden. Und der andere stellt sich mit dem Rücken zur Tür und tut, als ob er sich gerade die Hose zuknöpft.“
„Vielleicht könnte auch jeder von uns auf ein anderes Klo gehen“, sagte Lutz nachdenklich. „Das wäre doch noch unauffälliger.“
„Ja, natürlich“, räumte Joachim ein, „das ginge auch. Aber warum wollen wir uns jetzt schon den Kopf darüber zerbrechen? Lassen wir doch die Sache auf uns zukommen und entscheiden uns an Ort und Stelle.“
Sie schulterten ihr Gepäck und marschierten los.
Gegen viertel nach sieben erreichten sie den Hauptbahnhof. Sie suchten eine Abfahrtstafel und sahen, daß der nächste Zug nach Rosenheim um 8 Uhr 1 fuhr.
„Na, bitte“, sagte Joachim, „das ist ja schon unsere Kragenweite! Jetzt kaufen wir uns da vorne an dem Kiosk noch ‘ne Kleinigkeit zum Naschen, damit wir auf dem Lokus keine Langeweile kriegen, und dann klettern wir in aller Gemütsruhe in den Zug.“
Sie kauften Butterkekse und Lakritzen. Genüßlich kauend machten sie sich dann auf die Suche nach ihrem Bahnsteig. Es war jetzt 10 Minuten vor 8, und der Zug mußte jeden Augenblick einlaufen. Lutz beobachtete die vielen Reisenden, die gleich ihnen auf den Zug warteten. Einige schleppten an schweren Koffern, andere hatten nur wenig Gepäck. Keiner jedoch achtete auf sie, und Lutz verlor ein wenig von seiner Unruhe und Angst.
Joachim war die Ruhe selbst. Er stand da, als ob er mindestens drei gültige Fahrkarten in der Tasche und nichts zu befürchten hätte. Gelangweilt polkte er zwischen seinen
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