Zwei auf Achse
zu suchen, oder?“
Sie berieten noch eine Weile, und Lutz trainierte das Heulen.
„Na, bitte“, sagte Joachim nach dem vierten Versuch, „gar nicht schlecht dein Geflenne. Wer das hört und ungerührt weitergeht, hat kein Herz im Leib. Komm, wir fangen an! Den Blumenstrauß legen wir hier auf den Zaun. Da findet ihn bestimmt eine mitleidige Seele. Ich spüre, daß ich heute einen Glückstag hab’ und alles nach Wunsch verläuft.“ Joachim zog seinen Kamm aus der Tasche und kämmte Lutz.
„Ich glaube, es ist besser, wenn wir einen gepflegten Eindruck machen“, sagte er. „Das wirkt auf Leute mit Geld. Wenn wir wie Gammler aussehen, gehen sie uns aus dem Weg und sprechen erst gar nicht mit uns.“
An einer lebhaften Straßenecke hielt er Lutz am Ärmel fest.
„Hier bleiben wir“, bestimmte er, „hier ist viel Betrieb! Geh vor das Geschäft dahinten und fang an zu flennen. Nun mach schon!“
„Du bist gut!“ rief Lutz. „Kannst du auf Befehl heulen, wenn du gar keinen Grund dazu hast?“
„Ach, du brauchst einen Grund?“ fragte Joachim grinsend. „Den kannst du haben. Komm, ich hau dir ‘n paar rein, dann schießen dir die Tränen ganz von selbst aus den Augen.“
Aber das war Lutz auch nicht recht.
„Laß den Quatsch!“ sagte er. „Ich will’s mal so versuchen.“
Er spuckte sich auf die Finger, fuhr damit über den staubigen Sims des Schaufensters und verschmierte darauf Schmutz und Feuchtigkeit streifenförmig in seinem Gesicht.
„Wie sieht das aus?“ fragte er.
„Mensch, ganz klasse!“ rief Joachim. „Wirklich, du, echter geht’s gar nicht.“
Nun begann Lutz zu schniefen, schürzte die Lippen und kniff die Augen zusammen.
„Nicht schlecht!“ rief Joachim begeistert. „Aber natürlich mit Musik das Ganze! Du kannst hier keinen Stummfilm abrollen lassen, sonst hört dich doch kein Aas. Los, schalte den Ton ein!“
„Meinste, ich bin ein Automat!“ zischte Lutz. „So einfach ist das nicht. Überhaupt meine ich, sollten wir die Schau nur dann abziehen, wenn jemand in der Nähe ist, der wie ein mitfühlender Mensch aussieht. Einfach so ins Blaue hinein kann ich das nicht.“
„Okay“, sagte Joachim, einverstanden, den Grund laß ich gelten.“
Er schaute sich um und beobachtete die Leute. Plötzlich rief er:
„Achtung! Bild und Ton ab! Tränen, marsch! Hinter dir steuert eine Oma genau auf uns zu. Die hat bestimmt ein großzügiges Portemonnaie in ihrer Handtasche.“
Sofort begann Lutz wieder zu schniefen und hörbar die Nase hochzuziehen. Joachim aber ging suchend vor dem Schaufenster auf und ab und hatte keine Augen mehr für die Leute auf der Straße.
„Nun heul doch nicht!“ rief er laut. „Dein Vater wird dich schon nicht gleich totschlagen, Mensch!“
„Hast du eine Ahnung!“ schluchzte Lutz. „Ich trau’ mich gar nicht nach Hause!“
Die Frau, auf die sie es abgesehen hatten, war nur noch zwei Schritte von ihnen entfernt. Sie mußte alles mitgehört haben. Joachim schielte zu ihr hinüber, tat aber, als sähe er sie nicht, weil er so emsig suchte, und rief, indem er ihr direkt vor die Füße stolperte: „Wenn dein Vater dich wegen so ‘ner Kleinigkeit wieder so fürchterlich prügeln will, hauste einfach ab! Irgendwo wirste schon unterkommen.“
Die Frau wich zur Seite aus, um nicht mit Joachim zusammenzustoßen, und ging wortlos weiter. Joachim blickte erstaunt auf. „Wegen 20 Mark einen Jungen totprügeln“, rief er, „wo gibt’s denn sowas!“ Aber auch dieser laute Ruf flammender Empörung ließ die Frau anscheinend kalt. Sie zeigte jedenfalls keine Wirkung, sondern ging zügig weiter und in das Geschäft hinein. Gerade wollte Joachim ihr ein paar unfreundliche Bemerkungen nachschicken, da fühlte er sich von hinten am Arm ergriffen. „Was sagst du da von Totprügeln, Bub?“ fragte ihn ein Herr von etwa fünfzig Jahren.
Obwohl Joachim sehr erschrak, besaß er Geistesgegenwart genug, das begonnene Spiel weiterzuspielen.
„Och“, sagte er, „mein Freund hat 20 Mark verloren, und dafür erwartet ihn zu Hause eine fürchterliche Tracht Prügel. Sein Vater ist nämlich ein Unmensch erster Klasse.“
„20 Mark?“ fragte der Mann und schaute Lutz in das tränenverschmierte Gesicht. „Wie denn? Mit dem Portemonnaie?“
„Nein“, schluchzte Lutz, „ich hab’ den Schein einfach so in der Hand gehalten, und dahinten bei der Ampel muß er mir im Gedrängel weggekommen sein.“
„Bei der Ampel?“ staunte der Mann. „Und dann
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