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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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man muss ihn einfach verwerten», sagte Margaret. «Tut ihr Landbewohner das etwa nicht?»
    Die herablassenden Worte meiner Schwester ließen mich zusammenzucken, doch Mary wirkte nicht beleidigt. Stattdessen folgten ihre Augen Margaret, die sich nun im Walzerschritt durchs Zimmer drehte, kokett mal über die eine, dann über die andere Schulter blickte und die Hände im Takt ihrer gesummten Melodie bewegte.
    Um Himmels willen, dachte ich, das Mädchen wird doch nicht die Albernste von uns bewundern? «Was gibt’s, Mary?», fragte ich. Es klang recht kurz angebunden, was ich nicht beabsichtigt hatte.
    Mary Anning drehte sich zu mir um, aber ihr Blick wanderte trotzdem immer wieder zu Margaret zurück. «Pa hat mich geschickt. Ich soll sagen, dass er Ihnen den Ausstellungskasten für ein Pfund macht.»
    «Ach, plötzlich doch?» Einen von Richard Anning angefertigten Ausstellungskasten wollte ich eigentlich nicht mehr. «Sag ihm, ich denke darüber nach.»
    «Wer ist denn deine Besucherin, Elizabeth?», fragte Louise, die Hände immer noch in den Holunderblüten.
    «Das ist Mary Anning, die Tochter des Möbeltischlers.»
    Als sie den Namen hörte, hielt Bessy, die gerade Mehl und Butter für Scones auf den Tisch stellen wollte, in der Bewegung inne und starrte Mary mit offenem Mund an. «Du bist das Blitzmädchen?»
    Mary senkte den Blick und nickte.
    Jetzt schauten wir sie alle an. Selbst Margaret hatte ihren Walzer unterbrochen. Wir hatten von einem Mädchen gehört, das vom Blitz getroffen worden war, denn die Leute sprachen auch Jahre später noch davon. Es war eines dieser Wunder, von denen Kleinstädte lange zehrten. Ertrunkene Kinder, die plötzlich Wasser spuckten wie ein Walfisch und wieder zum Leben erwachten; Männer, die von den Klippen stürzten und völlig unversehrt zurückkamen; Jungen, die von Kutschen überfahren wurden und nur mit einem Kratzer auf der Backe wieder aufstanden – das waren die ehrfürchtig bestaunten Wunder des Alltags, die sich mit der Zeit zu Legenden entwickelten und eine Gemeinschaft zusammenhielten. Bei meiner ersten Begegnung mit Mary war ich gar nicht auf den Gedanken gekommen, es könne sich bei ihr um das Blitzmädchen handeln.
    «Kannst du dich noch daran erinnern, wie das war, als du getroffen wurdest?», fragte Margaret.
    Mary zuckte mit den Schultern. Unser plötzliches Interesse war ihr offensichtlich unangenehm.
    Louise, die es wie Mary nicht leiden konnte, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, versuchte das Thema zu wechseln. «Ich heiße übrigens auch Mary. Man hat mich auf die Namen meiner beiden Großmütter getauft. Nur dass ich Großmutter Mary nicht so gerne mochte wie Großmutter Louise.» Sie hielt kurz inne. «Möchtest du uns helfen?»
    «Was soll ich machen?» Mary trat an den Tisch.
    «Zuerst wäschst du dir die Hände», befahl ich. «Louise, schau nur ihre Nägel an!» Marys Fingernägel hatten einen grauen Lehmrand, und ihre Fingerkuppen waren runzlig vom Kalkstein, ein Zustand, der mir bald von meinen eigenen Fingern vertraut sein sollte.
    Bessy starrte Mary immer noch an. «Bessy, solange wir hier in der Küche sitzen, kannst du im Wohnzimmer saubermachen», wies ich sie an.
    Sie brummte unwillig und nahm ihren Wischmopp. «Ich würde kein Mädchen in meine Küche lassen, das der Blitz getroffen hat.»
    «Allmählich wirst du so abergläubisch wie die Einheimischen hier, auf die du so gerne herabschaust», tadelte ich sie.
    Bessy blies wieder die Backen auf und schlug mit dem Mopp gegen den Türpfosten. Louise und ich zwinkerten uns lächelnd zu, und Margaret begann erneut summend um den Tisch zu tanzen.
    «Margaret, bitte tu uns den Gefallen und tanze woanders!», rief ich. «Geh und tanze mit Bessys Mopp.»
    Margaret lachte und wirbelte zur Enttäuschung unserer kleinen Besucherin in Pirouetten zur Tür hinaus und durch den Flur davon. Louise zeigte Mary nun, wie man die Stiele von den Blütendolden abknipste und darauf achtete, den Blütenstaub nicht in der ganzen Küche zu verteilen, sondern in den Topf zu schütteln. Sobald sie verstanden hatte, wie es ging, arbeitete Mary zügig und hielt erst inne, als Margaret mit einem hellgrünen Turban auf dem Kopf wieder hereinkam. «Eine Feder oder zwei?», fragte sie und hielt sich erst eine, dann eine zweite Straußenfeder an das Band über ihrer Stirn.
    Mary sah Margaret mit großen Augen an, zu jener Zeit kannte man solche Kopfbedeckungen in Lyme noch nicht. Rückblickend kann ich behaupten,

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